Daniel Barenboim dirigiert im Pierre Boulez Saal: Die Freiheit feiern
Ungeheurer Jubel durchflutet den Boulez-Saal, als die ersten Musikerinnen das Podium betreten: junge, grazile Frauen, die Kontrabässe schleppen, die größer sind als sie selbst. Der hohe Frauenanteil im Orchester der Barenboim-Said-Akademie ist bemerkenswert. Dass hier aber die Studierenden sowohl aus Israel als auch aus arabischen Ländern kommen, dass also junge Menschen aus verfeindeten Nationen an der Idee festhalten, mit gemeinsamem Musizieren zu einem friedlichen Miteinander beitragen zu können, ist das eigentlich Großartige an diesem Klangkörper.
Der fröhlichen, entschlossenen Einmütigkeit auf der Bühne merkt man jetzt nicht mehr an, wie verstört die meisten nach dem Überfall der Hamas waren. Die Bravorufe verstärken sich, als Daniel Barenboim auftritt, vorsichtig sich an sein Dirigentenpult herantastet. In einer kurzen Ansprache – englisch, „weil nicht alle im Publikum Deutsch verstehen“ – betont der Maestro die Bedeutung des Zusammenspiels an diesem Abend, „mitten in einem schrecklichen Krieg in Nahost“.
Weich und feierlich
Auf Versöhnung zielt auch das Programm des Abends ab: „Verklärte Nacht“, das frühe, spätromantisch die Fühler nach Neuem ausstreckende Meisterwerk von Arnold Schönberg, zeigt den jüdischen Komponisten als Bewahrer und Erneuerer deutscher Tradition. Es entstand 1899 auf ein Gedicht von Richard Dehmel, das damals Skandal machte: Eine Frau gesteht ihrem Mann, ein Kind von einem anderen zu erwarten. Der Konflikt bleibt nicht aus, doch er verzeiht ihr.
In der Fassung für Streichorchester klingt das Werk weicher, weniger scharf in dissonanten Ausbrüchen als im Original für Streichsextett. Beinahe feierlich exponiert Barenboim die ersten Kontrabass-Töne, baut mit sparsamsten Gesten den Spannungsbogen der melancholischen Melodik auf. Die Dramaturgie des Werkes hat er fest im Griff; wie eine Flamme leuchtet der erste Dur-Akkord auf, der die „Verklärung“ einleitet.
Das klangvoll-intensive Solospiel der Konzertmeisterin, nervöse Bratschen, erregt tremolierende Celli und Bässe demonstrieren in transparentem Gesamtklang, über welch wunderbare Streicher das junge Orchester verfügt. Bei Beethovens siebter Sinfonie, von Richard Wagner „Apotheose des Tanzes“ genannt, fügen sie sich mit beweglichen Holzbläsern, Pauken und strahlenden Trompeten zum beinahe raumsprengenden Klang.
Von grenzenlosem Optimismus ist die Interpretation erfüllt. Diesen Optimismus erreicht Daniel Barenboim auch hier mit sparsamsten Anweisungen. Mit geballten Fäusten gibt er scharfe Akzente, mit feuriger Präzision geht es im Presto-Scherzo zur Sache. Und im Trauermarsch lässt er nach großen Gefühlsausbrüchen ausgerechnet im schwierigen Fugato seine Schützlinge ganz frei, lässt sie zeigen, dass sie einfach alles können.