Häppchen und Sekt in einer Parallelrealität
Typen in Alltagskleidung. So zeichnet die Künstlerin Lesia Khomenko ukrainische Männer, die ihre Städte verteidigen und die in den ersten Kriegstagen noch keine Uniform hatten: einen IT-Ingenieur, einen Anwalt, einen Chemiker und ihren Freund, einen Musiker.
Was Bilder vermögen, was Kunst bewegen kann, ist die wichtigste Frage, die bei dieser Venedig Biennale verhandelt wird. Im ukrainischen Pavillon, der unter schwierigen Umständen doch noch zustande kam. An der „Piazza Ucraina“, die mitten in den Giardini eingerichtet wurde. In der Scuola Grande della Misericordia, wo das Pinchuk Art Center in einer Ausstellung, die eigentlich ganz anders geplant war, die Freiheit der Ukraine beschwört. Dort liegt nun Yevgenia Belorusets Kriegstagebuch ausgedruckt auf hölzernen Pulten. Nikita Kadan hat zerschossene Blechteile von den Straßen Kiews als mahnende Readymades installiert. Und auch Lesia Khomenkos Soldatenporträts sind dort zu sehen.
Am heutigen Samstag öffnet die bedeutendste Kunstausstellung der Welt ihre Pforten für das Publikum. Traditionell sind in den drei Tagen davor fast alle am Lido, die in der Kunstwelt aktiv sind. Kuratoren aus Mexiko-Stadt, Künstlerinnen aus Harare, Museumsdirektorinnen aus Peking, Galeristen aus New York wandeln zwischen den Giardini und dem Arsenale hin- und her. Die Preview-Tage sind ein großes Stelldichein der internationalen Kunstszene. Wenn sich der hedonistische Kunstwanderzirkus aus Klimagründen nicht ohnehin schon zwiespältig anfühlen würde – dann spätestens jetzt, wo Künstlerinnen nur kurz aus Kiew anreisen und dann schnell wieder zurückkehren in den Krieg. Verschnaufpause mit Aperol Spritz am Kanal. Es ist absurd.
Geschichte trifft Kunst, trifft Venedig, trifft die Biennale, verschiebt Bedeutungen. So sagen es in Venedig auch die Kuratoren des ukrainischen Pavillons bei ihrer Pressekonferenz. Ob Kommunikation mit russischen Künstlern möglich ist, etwa mit denen, die aus Protest ihre Teilnahme in Venedig absagten? Die Antwort von Künstler Pavlo Markov lautet „Nein“. Die einzige Kommunikation, die derzeit möglich sei, finde auf dem Schlachtfeld statt.
Kunst trifft Venedig, trifft Krieg
Zur Eröffnung der vom Kiewer Pinchuk Art Center organisierten Ausstellung tritt der ukrainische Oligarch Victor Pinchuk am Donnerstagabend aufs Podium, hinter ihm Takashi Murakamis Gemälde „War and Piece“. Sonnenblumen und Totenköpfe. Präsident Selenskyj grüßt später noch per Videobotschaft, mahnt die Entscheider zur Hilfe für sein Land. Dann gibt es Häppchen und Sekt. Parallele Realitäten. So ist es am Lido derzeit.
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Für Biennale-Direktorin Cecilia Alemani war es auch deshalb eine schwierige Biennale, weil sie unter Covid-Bedingungen vorbereitet werden musste. Eigentlich hatte die italienische Kuratorin vor, viele Ateliers zu besuchen, besonders von Frauen, besonders in Regionen, die vom westlichen Kunstbetrieb bisher ignoriert wurden. Nun hat sie eine Weltausstellung per Zoom organisiert. Bei manchen Werken war bis zum Schluss nicht klar, ob sie es rechtzeitig nach Venedig schaffen. Covid und Krieg, Logistikprobleme überall.
Pavlo Markovs „Brunnen der Erschöpfung“ wurde von Kuratorin Maria Lanko mit dem Auto aus der Ukraine herausgebracht. Nun hängt das Werk im Arsenale im oberen Stockwerk und geht dort fast etwas unter. Die Ukraine hat genau wie die Türkei, Südafrika, Singapur, Litauen und viele Länder des globalen Südens keinen festen Ort bei der Biennale. Einen eigenen Bau in den Giardini haben bei der 1895 gegründeten Großausstellung nur die westlichen und amerikanischen Nationen. Diese kolonialen Spuren kann trotz ihrer erfolgreichen Bemühungen um regionale und soziale Diversität auch Biennale-Direktorin Alemani nicht tilgen.