Björk beschwört im Wald die Götter Islands
Klangschalen, auch Handpans genannt, sind äußerst sympathische Instrumente. Wer sie hört, den entrücken sie quasi sofort aus der Gegenwart, sie sorgen für Tiefenentspannung und dafür, dass Warten kaum als solches empfunden wird. Insofern eine gute Wahl, den Österreicher Manu Delago als Opening Act in der Waldbühne zu engagieren, der schon öfters mit Björk getourt ist und gleich mal darauf einstimmt, dass dies ein eher elegischer Abend wird.
Dann treten die Streicher vom Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB) mit Dirigent Bjarni Fríman Bjarnason auf – und schließlich Björk selbst, ohne Knalleffekt, ohne Krawumm, indem sie einfach die Rampe runterläuft, ein Wesen wie nicht von diesem Planeten.
Zehntausende jubeln erleichtert: Lange haben sie auf diesen Moment gewartet. Zwei Mal wurde die „Björk Orchestral Tour“ wegen Corona verschoben.
Björk wäre nicht Björk, wenn sie sich von einer Pandemie unterkriegen lassen würde – die genresprengende Künstlerin, die für so viel mehr steht als „nur“ Gesang, ist gehärtet von bald drei Jahrzehnten im Rampenlicht, ihr Erstlingsalbum von 1993 nannte sie selbstbewusst-programmatisch „Debut“.
Das letzte, „Utopia“ erschien vor immerhin auch schon fünf Jahren, umso mehr ist jeder Auftritt willkommen. Zuletzt war die Isländerin 2015 in Berlin, in der Zitadelle Spandau. Anders als bei der aufwändigen „Cornucopia“-Tour von 2019 (die auf „Utopia“ basierte) sind diese ersten Nach-Pandemie-Konzerte visuell abgerüstet, fast ein bisschen demütig, ohne fette Lichteffekte, ohne Props. Es geht um die Basics: um Stimme, Lyrics, Komposition.
15 Songs singt Björk an diesem Abend, ganz ruhig und abgeklärt beginnt sie mit „Stonemilker“ (2015). Wüsste man es nicht, man würde dieser Musik kaum anhören, dass hier eine desaströse Trennung kreativ verarbeitet wird, wie in allen Titeln des an diesem Abend sehr präsenten „Vulnicura“-Albums.
Die von Künstler und Regisseur Matthew Barney: „What is it that I have/That makes me feel your pain/Like milking a stone“. Emotional macht sie sich ganz nackt, was wie immer in augenfälligem Kontrast zu dem opulenten Kostüm steht, das bei Björk stets eine ganze eigene Geschichte zu erzählen scheint.
Aus der Ferne hat diese Kleiderkomposition etwas Wildes, wie ein nordischer Fellüberwurf, doch schaut man genauer hin, wirkt es eher wie ein japanischer Kimono, üppig verziert und doch von einer gewissen Leichtigkeit. Dazu ein silberner Hut und eine Maske, die ihr etwas Katzenhaftes verleiht.
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Völlig konsequent, dass Björk mit großem Symphonieorchester auftritt, haben doch Streicher in ihrem schillernden Musikkosmos immer schon eine große Rolle gespielt. Jetzt aber geben die Arrangements den Songs etwas zusätzlich Weiches, Gerundetes, üppig Florierendes, die harten und schmerzhaften Ecken, von denen die Texte erzählen, wirken gemildert.
Manchmal tritt die Sängerin auch ganz zurück, lässt dann das Tutti oder Solos blühen. Mit dem RSB arbeitet Björk erstmals zusammen, die Abstimmung mit dem jungen Landsmann Bjarnason am Pult, der in Berlin an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ studiert hat, funktioniert hörbar gut. Ursprünglich sollte RSB-Chefdirigent Vladimir Jurowski hier stehen, doch diese Planung ist irgendwann in den zwei Pandemiejahren verloren gegangen.
Ihre Stimme ist einzigartig, sirenenhaft
Sicher nicht verloren gegangen, auch nicht mit 56 Jahren, ist dagegen Björks einzigartige, immer noch juvenil klingende Stimme, die die mythologische Tiefe von Sirenen besitzt, häufig wie in Trance gesungen ist und im Laufe der Zeit höchstens an Kernigkeit gewonnen hat.
Mit diesem Sopran interpretiert sie jetzt „Aurora“ oder das von gezupften Bässen und Celli begleitete „Come to Me“, „Hunter“, „Quicksand“ oder „I’ve seen it all“ vom „Dancer in the Dark“-Soundtrack.
Szenen eines Künstlerinnenlebens: Auch die Beziehung zu Regisseur Lars von Trier war ja bekanntlich schwierig, soll von Ausbeutung geprägt gewesen sein. Immer wieder erkundet Björk in ihrer Arbeit sich selbst, so auch mit dem fiktiven Charakter „Isobel“ schon im gleichnamigen, frühen Song von 1995. Es beginnt wie ein Märchen, der Text stammt von dem isländischen Dichter Sjón: „In a heart full of dust/lives a creature called lust/it surprises and scares/like me“.
Ein nachdenkliches Konzert
Insgesamt erklingt in der Waldbühne kein überwältigendes, aber ein inniges, eher in Moll gestimmtes, nachdenkliches Konzert, bei dem, und das ist dann doch schade, zumindest ein großer Hit fehlt: „Venus as a boy“. Als Zugabe spielt das RSB die „Ouverture“ aus dem „Dancer in the Dark“-Soundtrack, dann hält Björk eine knappe Ansprache, verweist auf die Pandemie und darauf, dass deswegen ständig Konzerttermine verschoben wurden. Und reckt die verbale Faust in die Höhe: „But we did not give up!“
Für die allerletzte Nummer wird nochmal alles anders: Die RSB-Streicher können zeigen, dass sie auch harte, dramatische Technobeats draufhaben. Bei „Pluto“ vom Album „Homogenic“ hat sich Björk vom neunten Planeten inspirieren lassen, der auch „der große Erneuerer“ genannt wird, wenn er auch seinen Planetenstatus inzwischen verloren hat.
Auch isländische Mythologie spielt eine Rolle, der Ragnarök, ein monumentaler Erzählzyklus voller Naturkatastrophen und fallenden Göttern, von den Dimensionen her vergleichbar dem Nibelungenlied. „Pluto“ fällt so völlig aus dem bisherigen, etwas melancholischen Rahmen des Konzerts, dass es wirkt wie eine Ankündigung: Nächstes Mal wird wieder gerockt.