Ist Planungssicherheit wirklich alles?
Der Kopf nickt. Gute, ja kluge Entscheidung, den European Song Contest 2023 nicht in der Ukraine stattfinden zu lassen. Dem Siegerland des diesjährigen Wettbewerbs hat es ja zugestanden, die größte Show des europäischen Fernsehens auszurichten.
Jetzt wird verzichtet, wie es heißt, seien nach eingehenden Analysen die European Broadcasting Union (EBU) und der Sender UA:PBC zu der Überzeugung gelangt, dass das Land durch die russische Invasion die Organisation und Durchführung der komplexen Veranstaltung nicht gewährleisten könne.
Die Planung ist komplex, sicher
Stimmt schon, der ESC ist eine überaus komplexe Veranstaltung. 2022 waren 40 Länder beteiligt, jeder Teilnahme gingen jeweils Castings, Vorausscheidungen, Votings voraus, damit endlich in Turin 25 Künstlerinnen, Künstler und Künstlergruppen um den Sieg performen konnten. Jeder kann sich ausdenken, in welcher Breite, Höhe und Tiefe organisiert, geplant, investiert werden, damit Europa am Samstag der Entscheidung den Fernseher einschaltet.
Stimmt schon, eine Austragung in Kiew, der ukrainischen Hauptstadt, steht immer unter dem Verdikt, doch noch und ganz plötzlich abgesagt werden zu müssen. Wer weiß, ob dem Kriegstreiber Putin der ESC nicht ein sehr willkommener Anlass für den nächsten Raketenüberfall gewesen wäre.
Das alles wird die EBU noch mehr als der ukrainische Sender kalkuliert haben. Wobei die Annahme erlaubt ist, dass die Entscheidung der Rundfunkunion nicht aus Sorge um die Ukraine, sondern aus Sorge um einen verpassten Fernsehevent getroffen wurde. Der ukrainische Kulturminister Olexander Tkatschenko sagt, sein Land sei vor vollendete Tatsachen gestellt worden.
Schon erstaunlich, dass so viele Monate vor dem Termin Gewissheit darüber herrscht, wie unmöglich ein ESC in der Ukraine ist. Beschäftigt die EBU im wohltemperierten Genf eigentlich Propheten?
Kunst und Kultur muss im Land stattfinden
Vor der Absage galt und danach gilt immer noch die Überzeugung, dass die Kunst und Kultur der Ukraine am besten geschützt und bewahrt wird, indem Kunst und Kultur, hier gemünzt in Popkultur und Entertainment, in der Ukraine stattfinden. Weil es eben einen vehementen Unterschied ausmacht, ob Kultur im Land oder als Exilkultur betrieben wird.
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Schon bietet sich Glasgow als Ersatzort für den ESC 2023 an. Wetten, dass die Teilnehmer aus der Ukraine wieder umjubelt werden? Das hat was vom Almosen, umso mehr, als der Sieg des Kalush Orchestra in Turin keine Streicheleinheit war, sondern künstlerisch gerechtfertigt.
Till Lindemann und Dieter Bohlen kommen 2023
Die tapferen Europäer dürfen sich schon mal überlegen, ob sie sich, außer dass sie den Ukrainern Waffen schicken, auch mit den Überlebensmitteln von Kunst und Kultur engagieren wollen. Der vorfristig abgesagte Eurovision Song Contest stellt diese grundsätzliche Frage nur schärfer.
In Kiew ist für dieses wie das Jahr 2023 eine Reihe von Konzerten geplant. Für November ist Till Lindemann angekündigt, ihm soll Dieter Bohlen (!) folgen, für den 24. Juni 2023 ist die ukrainische Band „Okean Elzy“ im Nationalstadion avisiert. Keiner kann heute sagen, welcher Auftritt tatsächlich stattfindet. Trotzdem stellt sich große Genugtuung ein. Anders gesagt: Die Ukraine ist größer als ein ESC in der Ukraine.