Der Fall des Strippenziehers Rainer Koch
An einem strahlend schönen und sonnig warmen Vorfrühlingstag in Bonn am Rhein nahm die lange und ereignisreiche Funktionärskarriere des Rainer Koch ein ebenso überraschendes wie passendes Ende. Als Bernd Neuendorf, der neue Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, den DFB-Bundestag fast ein wenig überstürzt beendete, stand Koch von seinem Platz am Rande des Saals auf und verschwand durch einen Seitenausgang. Danach ward er nicht mehr gesehen.
So hatte sich Rainer Koch, 63, das Ende dieses Tages definitiv nicht vorgestellt; der Mann, der zwar immer nur interimsweise in der ersten Reihe des deutschen Fußballs gestanden hatte, der dessen Geschicke trotzdem über viele Jahre maßgeblich mitbestimmt hatte; der als begnadeter Taktiker und virtuoser Strippenzieher galt. Am Ende aber wurde Rainer Koch selbst ein Opfer seiner eigenen Winkelzüge.
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Koch scheiterte bei einer Wahl, für die eigentlich gar kein Scheitern vorgesehen war. Sämtliche Regionalverbände des DFB dürfen je einen Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten bestimmen, der dann mehr oder weniger per Akklamation gewählt wird. Koch aber musste sich in einer geheimen Wahl seiner Gegenkandidatin Silke Sinning, 52, stellen – weil er selbst das so gewollt hatte.
Sinning gehörte ursprünglich dem Team des unterlegenen Präsidentschaftsanwärter Peter Peters an. Bei dessen Wahl wäre sie für das Amt der 1. Vizepräsidentin angetreten. Doch weil Peters Bernd Neuendorf unterlag, waren eigentlich auch Sinnings Ambitionen auf eine Funktionärskarriere hinfällig. Auf Kochs Initiative aber war sie eben auch vom Bayerischen Verband als Kandidatin für den Posten einer einfachen Vizepräsidentin und damit als Kochs Gegenkandidatin nominiert worden – vielleicht in der Hoffnung, dass die Sportwissenschaftlerin im Zweifel gar nicht antreten würde.
Völlig abwegig war diese Hoffnung nicht. Sinning selbst gestand nach ihrer Wahl, dass sie noch am Morgen trotz großer Ermutigung durch viele Delegierte gezweifelt habe: „O, ob du wirklich den Mut hast, da hoch zu gehen?“ Hatte sie. Und Koch damit ein Problem.
Koch führte sich auf wie ein trotziges Kind
Wie ein trotziges Kind beklagte er in seiner höchst seltsamen Bewerbungsrede, dass es nur ihm als Kandidat des Süddeutschen Verbandes zustehe, gewählt zu werden. Von denen, die ihm nicht ihre Stimme geben wollten, erwarte er daher, „dass sie sich eben nicht an der Wahl beteiligen“. Vermutlich ahnte er in diesem Moment schon, dass er sich verzockt hatte; dass er sich in den Strippen so verheddert hatte, dass er dort nicht mehr rauskommen würde.
Der DFB-Bundestag ist traditionell eine Veranstaltung großer Einigkeit. Alles schwimmt in einer Konsenssoße, strittige Punkte werden in der Regel schon im Voraus im Hinterzimmer ausgekungelt, so dass im Saal nur noch die grünen Stimmkarten in die Höhe gereckt werden müssen. Selbst der Applaus fällt eher wohltemperiert und nur selten enthusiastisch aus. Bei Kochs Wahlaufruf in eigener Sache aber regte sich im Plenum echte Empörung, wie man sie in diesem Rahmen selten erlebt. „Da hat der Rainer auch keinen glücklichen Moment gehabt“, sagte Silke Sinning.
Aus dem Achtungserfolg, den sie sich gegen den mächtigen Strippenzieher erhofft hatte, wurde ein triumphaler Erfolg. 163 Stimmen entfielen auf Sinnig, nur 68 auf Koch. Nach der Bekanntgabe des Ergebnisses musste Koch einmal die ganze Breite des Saales abschreiten, um seiner Kontrahentin zu gratulieren. Seine linke Hand steckte noch in der Hosentasche, als er ihr die rechte entgegenreckte, der Blick ging an Sinning vorbei – und dann befand sich Rainer Koch auch schon wieder auf dem Rückweg.
Bernd Neuendorf, der neue Präsident, wurde später gefragt, ob die Freude oder die Überraschung bei ihm in diesem Moment überwogen habe. Das sei „keine Frage von Freude oder Nicht-Freude“, antwortete er. „Das betrachte ich sehr nüchtern.“ Etwas Besseres aber als der Ausgang dieser Wahl hätte ihm gar nicht passieren können. Die „Zeit“ erklärte den Bundestag sogar zum besten Moment für den deutschen Fußball seit Rio 2014.
„Mehr Neuanfang geht nicht“, sagte BVB-Chef Watzke
Noch bevor er überhaupt gewählt worden war, sah sich Neuendorf mit dem Vorwurf konfrontiert, dass sein Wunsch nach einem Neuanfang im DFB nichts anderes als ein Lippenbekenntnis sei. Denn die Geschicke des Verbandes würden auch künftig weiterhin von der grauen Eminenz im Hintergrund bestimmt werden: von Rainer Koch, dem virtuosen Dirigenten des Amateurlagers.
Dieses Szenario ist am Freitag in Bonn ad absurdum geführt worden. Von Koch selbst. „Mehr Neuanfang geht nicht“, sagte Hans-Joachim Watzke, der Geschäftsführer des Bundesligisten Borussia Dortmund, der die DFL als 1. Vizepräsident im DFB vertritt.
Neuendorf hat schon vor seiner Wahl auf die anstehenden personellen Veränderungen im Präsidium hingewiesen, dem mit der früheren Nationalspielerin Celia Sasic, 33, erstmals eine Vizepräsidentin für Gleichstellung und Diversität angehört und in dem Ronny Zimmermann, 60, Koch als 1. Vizepräsidenten abgelöst hat. Die Botschaft hat nur bedingt verfangen, solange es so aussah, als würde Koch auch weiterhin die Fäden in der Hand halten.
Nach dessen Scheitern am Freitag erscheint die Führung des Verbandes nun in einem ganz anderen Licht. „Wenn ich mir das Präsidium anschaue, dann ist das eine sehr gute Mannschaft“, sagte Neuendorf. „Wir haben uns verjüngt, wir sind weiblicher geworden.“ Ein Drittel der 15 Mitglieder sind Frauen. „Das ist super“, findet Silke Sinning. „Da können wir auch ein bisschen stolz sein.“
Rainer Koch bleibt Präsident des Bayrischen und des Süddeutschen Verbandes. Er behält vermutlich auch seinen Platz im Exekutivkomitee der Uefa. So zumindest hatte es Neuendorf vor seiner Wahl angekündigt. Kochs Amtszeit läuft noch drei Jahre. Dann kann er nicht erneut antreten. Wer ins Exko der Uefa gewählt werden will, muss Präsident oder Vizepräsident eines nationalen Verbands sein.