Der Himmel muss warten

Kurz vor Ende der Saison, die ja eigentlich dem 200. Geburtstag des Hauses gelten sollte, darf das Konzerthaus doch noch für Publikum öffnen. An zwei Abenden leitet Ehrendirigent Iván Fischer ein für ihn typisches Programm, das bis zu den Grenzen der aktuell gelten Vorschriften drängt. Seine Proben für Mahlers monumentale 3. Symphonie wurden durch den ersten Lockdown unterbrochen.

Nun, am Ende des zweiten, nimmt er den Faden wieder auf und studiert die 4. Symphonie am Gendarmenmarkt ein. Mahler ist ein Herzenskomponist Fischers, zu dem er regelmäßig zurückkehrt, den Kopf voller neuer Ideen und Perspektiven. Das hat dem Konzerthausorchester große Abende beschert, an denen die Musikerinnen und Musiker über sich hinauswachsen konnten.

Nun trifft Fischer auf ein Orchester, das nach Monaten ohne Publikum und wenigen Auftritten vor Kameras und Mikrofonen darum ringt, Form und Spannung zu halten. Feuer und Entfesselung täten jetzt Not. Doch der sonst so emphatische Maestro lässt sich kaum davon leiten, was seine Musikerinnen und Musiker gerade brauchen.

Sie ist die rätselhafteste Symphonie des Komponisten

Es scheint, als würde er unbedingt alle seine aufgestauten Mahler-Tüfteleien in den Saal bugsieren wollen. Mahlers Vierte, mit ihrer lichten Orchesterbesetzung, bietet ihm dafür schier endlose Möglichkeiten. Sie ist die rätselhafteste Symphonie des Komponisten, ihre himmelblaue Naivität bleibt trügerisch, Ahnungen von Grauen und Tod durchwehen sie.

Fischer konzentriert sich auf eine Musik der Schatten, voll kalter harmonischer Grenzgänge und einem beängstigen Eigenleben der Stimmen. Er spreizt die durch die weite Sitzordnung ohnehin labile Klangmischung weiter, bis Zusammenklänge nicht mehr im Raum, sondern durch das korrigierende Hören im Kopf entstehen.

Eine solche hochartistische Metamusik gewinnt geistige Kraft nur, wenn sie von einem glühenden Kern ausgeht. Sicherlich hätte ein heißgespieltes Orchester mehr von Fischers Ansätzen umsetzen können, sich dankbar mit ihm in einen kühlenden intellektuellen Klangraum zurückgezogen. Tatsächlich aber wirkt das Verpassen von musikalischer Erfüllung schmerzhaft und herb.

Immerhin fügt es sich zum knöchern aus dem Nichts auftauchenden Haydn in der vorangestellten „Scena di Berenice“. Anna Prohaska, eingesprungen für die erkrankte Nuria Rial, findet mit Fischer am stärksten in einer fahlen Todesfantasie zusammen. Auch das kann ja eine Fährte zu den im letzten Mahler-Satz besungenen „himmlischen Freuden“ legen. Dem Braten, der im Paradies gesotten wird, kann man nicht trauen.