„Es gehört schon viel Mut dazu“ 

Roland Virkus, 55, ist seit dieser Woche neuer Sportdirektor von Borussia Mönchengladbach. Der breiten Öffentlichkeit dürfte der Nachfolger von Max Eberl weitgehend unbekannt sein, dabei ist er seit mehr als 30 Jahren für die Gladbacher tätig. Angefangen hat Virkus 1990 als Jugendtrainer, später war er Leiter des Jugendinternats und seit Oktober 2008 Nachwuchsdirektor des Fußball-Bundesligisten.

Marco Villa, 43, gehörte der ersten Jugendmannschaft an, die Virkus bei der Borussia trainiert hat. 1996 schaffte er den Sprung zu den Profis. In 24 Bundesligaspielen für die Gladbacher schoss er vier Tore, außerdem war der frühere U-21-Nationalspieler unter anderem für den 1. FC Nürnberg und Panathinaikos Athen aktiv. Villa, als Sohn einer Deutschen und eines Italieners in Neuss aufgewachsen, lebt inzwischen in Italien. Im Interview erinnert er sich an die Zeit unter Borussias neuem Sportdirektor.

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Herr Villa, wann waren Sie mehr überrascht: als Roland Virkus 1990 bei Borussia Mönchengladbach Ihr C-Jugend-Trainer wurde? Oder diese Woche, als er zu Borussias neuem Sportdirektor befördert worden ist?

Seine Beförderung zum Sportdirektor hat mich wirklich sehr überrascht. Auf der anderen Seite aber auch sehr erfreut. Roland Virkus war schon immer ein Mensch, vor dem ich sehr viel Respekt hatte und habe. Deswegen hat mich das wahnsinnig gefreut – vielleicht auch weil ich nicht damit gerechnet habe. Mit 55 Jahren zum ersten Mal in so eine Position zu kommen, das ist schon eine Herausforderung. Das finde ich schon einen spannenden Schritt von ihm. Auf jeden Fall gehört sehr viel Mut dazu.

Nach mehr als 30 Jahren im Verein ist Virkus bei Borussia ein Urgestein. Trotzdem ist seine Ernennung bei den Fans nicht auf ungeteilte Zustimmung gestoßen. War das 1990 ähnlich, als er die C-Jugend des Vereins übernommen hat? Virkus kam damals von einem Mönchengladbacher Stadtteilverein zur großen Borussia.

In dem Alter stellst du dir solche Fragen eher nicht. Wenn überhaupt, dann haben das unsere Eltern getan. Aber ob das aber wirklich so war, das weiß ich nicht. Und sollte es Vorbehalte gegen ihn gegeben haben, dann haben sie sich sehr schnell als unbegründet herausgestellt.

Warum?

Weil ich Roland Virkus als einen sehr akribischen Arbeiter kennengelernt habe. Als jemanden, der sehr ins Detail gegangen ist und immer versucht hat, sich nicht von irgendwelchen Unebenheiten überraschen zu lassen. Er wollte immer vorbereitet sein. Und das war er. Rückblickend war es so, dass ich bei diesem Schritt von der D-Jugend in die C-Jugend gemerkt habe: Okay, hier hat sich was geändert. Damals habe ich das nicht zwingend mit der Person Roland Virkus in Verbindung gebracht. Das kann ich erst jetzt. Im Nachhinein muss ich sagen: Wer auch immer damals die Entscheidung getroffen hat, ihn zu Borussia zu holen, der hat die richtige Entscheidung getroffen.

Gab es bei ihm im Training Dinge, die neu und ungewohnt für Sie waren?

Im Detail kann ich das nicht mehr sagen. Aber ich erinnere mich, dass sein Training sehr anspruchsvoll war, dass Roland Virkus immer sehr gut vorbereitet war und auch auf dem Platz nichts dem Zufall überlassen hat. Ich habe mir die Pressekonferenz zu seiner Vorstellung als Sportdirektor angeschaut. So, wie er sich da gegeben hat – das ist er. Er geht mit einem gewissen Mut an die Aufgabe heran, aber er weiß auch, wie er sich vorzubereiten hat.

Was war er für ein Typ?

In den beiden Jahren, in denen ich bei ihm gespielt habe, hatten wir eine gute Gemeinschaft, auch dank ihm. Er war ja mit Mitte 20 noch ein sehr junger Trainer. Dabei hatte man am Anfang gar nicht mal das Gefühl, dass er so nahbar ist. Das kam erst mit der Zeit. Mit ihm verbinde ich auch wunderschöne Reisen, die wir damals unternommen haben. Vor 30 Jahren, im April 1992, sind wir mit der C-Jugend in die USA geflogen und drei Wochen durchs Land getourt. Mein Bruder und meine Eltern waren dabei, und für uns ist das bis heute eine der schönsten Reisen, die wir je gemacht haben. Menschlich ist da einfach eine Verbindung entstanden. Daher verbinde ich gerade mit der C-Jugend-Zeit eine sehr schöne Erinnerung.

Virkus selbst war ein passabler, aber kein überragender Fußballer. Registriert man das als Jugendspieler eines Bundesligisten, der den Traum hat, Profi zu werden?

Ich glaube nicht, dass du dich in diesem Alter mit deinem Trainer vergleichst: Ist der jetzt als Fußballer besser oder schlechter? Ich kann mich auch nicht erinnern, dass er großen Wert darauf gelegt hat, uns selbst zu zeigen, wie man den Ball hoch hält oder wie man ihn korrekterweise an- und mitnimmt. Das hat er eher über die verbale Schiene gemacht. Aber für uns war das kein Problem, weil er uns viele, viele Dinge beigebracht hat, die für uns neu waren. Die Informationen, die wir von ihm bekommen haben, haben gereicht.

Hört sich nach einem eher analytischen, für heutige Verhältnisse sogar modernen Trainer an.

Ich würde sogar sagen: innovativ. Er ist neue Wege gegangen. Beim Fußballverband Niederrhein gab es damals einen Verbandstrainer, Karl-Heinz Müller. Der war eine Institution. Bei dem hatte Roland Virkus seinen Trainerschein gemacht. Und ich weiß noch, dass Müller zu uns gesagt hat: „Euer neuer Trainer, der Roland Virkus, das ist ein Top-Mann. Der weiß, wovon er spricht.“ Wenn ich mich nicht täusche, war Virkus entweder der erste oder sogar der einzige Trainer, der die Prüfung bei Müller mit 1,0 bestanden hatte.

Marco Villa (Mitte) freut sich über sein erstes Bundesligator, das er im September 1996 für Borussia Mönchengladbach erzielt hat.Foto: imago images/Uwe Kraft

Haben Sie noch Kontakt zu Virkus?

Vor ein paar Jahren haben wir uns noch mal unterhalten. Da war ich am Borussia-Park und habe ihn dort zufällig getroffen. Aber er hat meinen Eltern über eine frühere Kollegin immer wieder Grüße ausrichten lassen. In den beiden gemeinsamen Jahren ist einfach eine Verbindung entstanden, wie ich sie zu wenigen anderen Trainern aus meiner Jugendzeit hatte.

Nationaltorhüter Marc-André ter Stegen, der auch in der Jugend unter Virkus gespielt hat, hat sich bei Twitter sehr wohl wohlwollend über dessen Beförderung ausgelassen. Er hat ihn als meinungsstark, kritisch und klar bezeichnet. Sind Sie damit einverstanden?

Ja. Ich glaube nicht, dass Virkus sich hinter jemandem versteckt. Ich habe ihn als jemanden kennengelernt, der zu seinen Überzeugungen steht. Auch kommunikativ ist er ein guter Fang.

Und Sportdirektor: Kann er das?

Ja, ich glaube, dass er das kann. Aber ob es auch funktionieren wird, das ist nicht nur von ihm abhängig. Durch Corona ist die Situation gerade bei vielen Vereinen schwierig. Das gilt auch für Borussia. Denis Zakaria ist schon weg, andere Spieler könnten im Sommer folgen. Sehr wahrscheinlich wird es im Kader einen größeren Umbruch geben, so dass das keine einfache Aufgabe ist, die auf Roland Virkus zukommt. Er wird nicht die finanziellen Mittel haben, um alle seine Vorstellungen verwirklichen zu können. Ich hoffe, dass der Verein nicht in Hektik verfällt und gleich „Mann über Bord“ schreit, wenn es kompliziert wird, dass er stattdessen den bisherigen Weg weitergeht, der eigenen Identität treu bleibt und dem neuen Sportdirektor das nötige Vertrauen entgegenbringt. Man darf ja nicht vergessen, dass auch bei Max Eberl anfangs nicht alles Gold war, was geglänzt hat.

Früher als Trainer soll Roland Virkus an der Seitenlinie sehr impulsiv gewesen sein.

Das stimmt (lacht). Impulsiv und manchmal sogar ein bisschen jähzornig. Am Anfang war das sogar etwas einschüchternd und erschreckend. Aber ich habe gehört, dass er mit der Zeit etwas ruhiger geworden ist. Für uns war das damals schon eine neue Erfahrung. Im Training hast du ihn ja ganz anders kennengelernt als in den 70 Minuten im Spiel. Aber er hat das einfach mitgelebt. Er war mit Herz und Seele dabei. Da fällt mir noch Anekdote ein. Die muss ich Ihnen erzählen, weil die ihn wirklich am ehesten beschreibt.

Bitte.

Nach der C-Jugend bin ich für zwei Jahre zu Bayer Uerdingen gewechselt, weil Borussia mir nicht sagen konnte, ob ich in der nächsten Saison in der B1 oder der B2 spielen würde. Überhaupt war Borussia damals in der Jugend nicht besonders gut organisiert. Beim Saisonabschlussessen habe ich Roland Virkus von meiner Entscheidung erzählt. Als er das gehört hat, sind ihm die Tränen gekommen. Er war unglaublich enttäuscht. Nicht von mir. Meine Entscheidung konnte er sogar nachvollziehen. Er war enttäuscht, dass er nicht in der Lage gewesen war, mich bei Borussia zu halten. Dass er damals geweint hat, das habe ich bis heute im Herzen behalten.