Weltkrieg der Worte

Klaus Brinkbäumer ist Programmdirektor des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) in Leipzig. Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter.

Joe Biden sagte, zehn Tage ist es her, dass der Angriff Russlands auf die Ukraine in wenigen Tagen erfolgen werde. Was er ankündigte, geschah also nicht. Nun sagt Joe Biden, und er hält sich mit Sorgengesicht am Rednerpult fest, dass er überzeugt sei, Wladimir Putin habe „seine Entscheidung getroffen“; die USA „haben Gründe zu glauben, dass das russische Militär plant, die Ukraine in der kommenden Woche, den kommenden Tagen anzugreifen“.

Wird es diesmal so kommen? Es zählt zur Dialektik der Politik, dass Joe Biden dann gewinnen wird, wenn er erneut Unrecht gehabt haben wird. Warum aber diese Wortwahl, die permanente verbale Attacke durch Biden, Außenminister Antony Blinken, Vizepräsidentin Kamala Harris?

Am vergangenen Mittwoch trafen einige Journalisten aus vielen Ecken der Welt virtuell mit Derek Chollet zusammen, Russland-Experte des amerikanischen Außenministeriums, und auch der redete von Putin und „einer Krise seiner Wahl, einem Krieg seiner Wahl“ und von „Russen, die in Leichensäcken nach Hause kommen werden“; und auch Chollet redete nicht unter drei, nicht namenlos, wie es bei solchen Gesprächen üblich ist, sondern on the record, bewusst unter Namensnennung, bewusst scharf.

Ganz am Ende fragte ich ihn: Was passiert da, warum machen die USA das?

Chollet sagte: „Wir lernen und werden besser.“ Die USA kommunizierten unverblümt, „weil an der Tatsache, dass 150 000 Mann rund um die Ukraine positioniert sind, nichts mehr subtil ist“. Die Sprache reflektiere die Dringlichkeit, spiegele „unsere Sorge wegen der Entwicklungen“. Die Zeiten seien historisch, dies sei die größte Krise Europas seit dem Zweiten Weltkrieg und Ehrlichkeit zwingend geboten.

„Das Selfie ist mächtiger als das Schwert“

Der Krieg läuft bereits seit Jahren, so sieht es Richard Stengel und meint einen Desinformationskrieg. Stengel, ehemaliger Chefredakteur von „Time“, war Stellvertreter des einstigen amerikanischen Außenministers John Kerry. Und Stengel sagte mir, dass Demokratien vom freien Fluss wahrhaftiger Informationen und anschließend von der freien Debatte über diese Informationen abhängig seien – gebe es beides nicht mehr, sei die Demokratie gescheitert.

Die Gegner in diesem Krieg: der Islamische Staat und Russland. Diese Gegner haben Helfer: Facebook, Telegram und Twitter, denen es herzlich egal ist, ob eine Nachricht falsch oder wahr ist, solange sie gesehen und geteilt wird und dadurch Geld einspielt. Die Kriegsgegner, so Stengel, wüssten, dass Informationskriege nicht teuer und oft genug effektiver seien als militärische Invasionen.

„Das Selfie ist mächtiger als das Schwert“, sagte Stengel über diese Sorte Krieg, die mit Computern und Smartphones und Armeen von Trollen und Bots geführt wird.

Man müsse nicht einmal gewinnen, so schreibt es Stengel in seinem Buch „Information Wars“, denn siegreich sei schon, wer klares Wasser ein bisschen eintrübe: „Es ist viel einfacher, Konfusion als Klarheit zu erzeugen“. Desinformation sei deshalb erfolgreich, weil die Gegner des Westens dessen Stärken ausnutzen und zu seiner Schwäche machten: die Abwesenheit von Zensur, die Offenheit von Debatten, die freie Presse.

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Amerikanische Diplomaten sagen, nun unter drei, dass dies ja eben der Punkt sei: Russlands Erzählung vom aggressiven Westen, vom Genozid im Donbas müsse unüberhörbar mit der Wahrheit gekontert werden.

Es gibt da ein Problem. 2003 begannen die USA mit Lügen von Massenvernichtungswaffen einen Krieg, der die Welt umstürzte. Joe Bidens Vorgänger log in vier Amtsjahren 30573 mal. Nicht immer wird dem, der etwas Richtiges sagt, geglaubt. Das Problem im menschlichen Leben ist meist die Vergangenheit.