Edith Schröder for Kanzlerin
Hoppla, da hat sich was getan. Der schon immer kreuzsympathische und über die Jahrzehnte stark professionalisierte Tuntentrash der Ades-Zabel-Company ist jetzt endgültig Highend-Camp. Corona hat es unfreiwillig möglich gemacht.
So gut geprobt, gesungen und geschrieben wie „Tatort Neukölln“, das eigentlich schon vor einem Jahr rauskommen sollte, war noch keine Edith-Schröder-Show. Noch nicht mal das im Luftfahrt-Milieu angesiedelt Hit-Neuköllnical „Fly, Edith, Fly“.
Hilfe, die Mietwohnung soll Eigentum werden
Die sturzkomische BER-Verlade hat Musiktheaterregisseur Bernd Mottl 2017 inszeniert, ebenso wie die jüngsten Streich der Truppe. Die kapriziert sich diesmal wieder auf das in Vorläufern wie „Die wilden Weiber von Neukölln“ und „Hostel Hermannstraße“ angespielte Kernthema Gentrifizierung und persifliert die Berliner Wohnungssituation.
An Geld fehlt es im restproletarischen Nogatstraßen-Leben von Hartzerin Edith Schröder (Ades Zabel), Kneiperin Jutta Hoffmann (Bob Schneider) und Legginsboutiquenbesitzerin Brigitte (Biggy van Blond) ja immer.
Aber diesmal sind es 50000 Euro Anzahlung, die Edith auftreiben muss, um das Vorkaufsrecht für ihre Wohnung auszuüben, die in Eigentum umgewandelt wird. Gesamtkosten: eine Million für 49 Quadratmeter. Neukölln, wie haste dir verändert!
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Als Edith in Brigittes Boutique aufschlägt, um sie anzupumpen, winkt die ab: „50000? Ich kann Dir einen Chip für den Einkaufswagen leihen.“ Trotzdem weiß die patente Brigitte Rat: „Werd doch Drogendealerin für einen der Clans auf der Sonnenallee.“ Als Brigittes neue Flamme Harry Weinfurz (Roman Shamov) dazukommt, wird die Finanzfrage konkreter.
Er entpuppt sich als Geldtransportfahrer für Karstadt am Hermannplatz und will den Konzern schon lange um die nur noch spärlich sprudelnden Tageseinnahmen bringen. Schon ist der kriminelle Coup geboren, dessen Plot allerlei Überraschungen birgt. Eine ist, dass die drei Damen als Männer in Trenchcoats verkleidet durch Zeitungen mit Riesenlöchern die Örtlichkeit ausspähen.
Vor dem „Tatort“ kommt die „Tagesschau“, dieses eherne Gesetz berücksichtigt auch die Show, der ein viertelstündiger Einspieler vorausgeht, in dem Nachrichten über Terroranschläge durch vergiftete Perücken und mysteriöse Gebäudeeinstürze vermeldet werden. Auch in der Show sind Jörn Hartmanns originelle Einspieler absolute Hingucker. Teilweise vor Green-Screen gedreht und mit Spezialeffekten aufgepimpt.
[BKA-Theater, Mehringdamm 34, Kreuzberg, bis zum 4. September, www.bka-theater.de]
Zum Quietschen sind die Traumsequenzen, in denen es die im Internet plötzlich zur Volksheldin ausgerufene Edith erst zur Heinz-Buschkowsky-Medaille, dann zur Neuköllner Bürgermeisterin und schließlich gar zur Kanzlerin bringt.
Ein politischer Aufstieg, der vom aufgepulverten Premierenpublikum mit Jubel kommentiert wird. Auch die krimitypische Verfolgungsjagd, in der der gefilmte Kommissar Edith auf der nachtschwarz animierten Karl-Marx-Straße hinterherkurvt, die auf der Bühne leibhaftig am Lenkrad kurbelt, ist klasse.
Discohits zum Mitklatschen
Bei den Songs, die wie üblich im Halbplayback mit eigenen Texten versehen sind, geht’s dafür weniger einfallsreich zu. Da setzt die Zabel-Truppe zu sehr auf massenkompatible Gassenhauer, die jeder rauf und runter mitklatschen kann. Discohits wie Le Freak, I Will Surive, It’s Raining Men oder auch das “Phantom der Oper” werden gnadenlos neuköllnisiert. Was das Satirepotenzial von Lokalkolorit und Zeitphänomen wie mit Anglizismen gespicktem Imageberatersprech angeht, macht den Krawallschachteln keiner was vor.