Vorwürfe gegen Handball-Trainer André Fuhr: DHB löst Missbrauchskommission nach nur einem Monat auf
Die Zuversicht war groß. Etwas zu groß, mochte man schon meinen – und dieser Gedanke hat sich nun bestätigt. Denn nachdem der Missbrauchsskandal im deutschen Handball beim BVB Dortmund bekannt geworden war und die Verstrickungen bis in den deutschen Handballbund (DHB) reichten, klopften sich die Funktionäre doch sehr schnell auf die Schulter.
Beim deutschen Vizemeister entledigte sich die Vereinsleitung des Skandaltrainers André Fuhr und des Abteilungsleiters der Frauen, Andreas Heiermann, teils mit lobenden Worten und ohne öffentliche Selbstkritik. Auf die Vorwürfe, die durch die Nationalspielerinnen Amelie Berger und Mia Zschocke vorgebracht worden waren und die später von mindestens zwei Dutzend anderen Handballerinnen unterstützt wurden, wurde wenig eingegangen.
Beim Dachverband hingegen rühmte man sich rasch eine externe, unabhängige und interdisziplinäre Kommission zur Aufarbeitung eingesetzt zu haben – und hoffte, nicht zuletzt weil die Weltmeisterschaft der Frauen bevorstand, damit das Thema vielleicht nicht ad acta legen zu können, aber doch fernab der Öffentlichkeit weiter zu diskutieren.
Doch die fünfköpfige Kommission, bestehend aus Soziologin Carmen Borggrefe, Kriminologe Christian Pfeiffer, dem psychologischen Berater Benny Barth und Sportwissenschaftlerin Meike Schröer sowie Athletinnenvertreterin Angela Marquardt, die Ende November erstmals zusammengekommen war, ist nach nicht einmal einem Monat bereits gescheitert.
„Gründe hierfür waren unüberbrückbare persönliche Differenzen innerhalb der Kommission, welche die für eine Zusammenarbeit notwendige zwischenmenschliche Ebene zerstörten”, hieß es in der Mittelung des DHB am Donnerstagabend.
In einer außerordentlichen Videositzung habe das Präsidium die Kommission aufgelöst und sehe sich nun gezwungen, „den Aufarbeitungsprozess neu zu starten”. Eine zeitnahe Neuberufung werde angestrebt.
Trainer André Fuhr soll über 16 Jahre Spielerinnen drangsaliert haben
„Wir stehen jetzt leider wieder fast am Anfang, aber unser Wille ist klar: Wir nehmen die Vorwürfe gegen den Handballtrainer André Fuhr weiterhin mit größtem Interesse zum Anlass, dies extern und unabhängig aufarbeiten zu lassen”, ließ sich DHB-Präsident Andreas Michelmann zitieren und bekundete sein Bedauern. Man habe „Neuland” betreten und – so ließt es sich zwischen den Zeilen Mitteilung – die Komplexität der Umstände unterschätzt.
Dabei ist es wenig verwunderlich, dass das systematische Fehlgefüge, das in den vergangenen Monaten mehr und mehr aufgedeckt wurde, nicht von jetzt auf gleich in Ordnung gerückt werden kann. Schließlich wurde im Zuge der Untersuchungen bekannt, dass Trainer André Fuhr über 16 Jahre Spielerinnen drangsaliert haben soll – in Dortmund genauso wie bei seinen vorherigen Vereinen.
Es wurde bekannt, dass sein Vorgehen ligaweit kein Geheimnis war, dass auch der DHB davon in Kenntnis gesetzt worden war und ihm dennoch das U20-Team übertragen hatte.
Dass diese eingefahrenen und anscheinend ignoranten Strukturen schwer aufzubrechen sind, war zu erwarten. Dass die Aufarbeitung hingegen derart schnell scheitert, ist erschreckend. Michelmann hatte gefordert, dass der gesamte deutsche Handball Verantwortung übernehmen müsse. Dass es, um den Sport zu schützen, darum gehe, Hilfe anzubieten, Gefahrenzonen zu eliminieren und ein Frühwarnsystem einzurichten.
Und während dem Funktionär wirklich an der Sache zu liegen scheint, macht es dennoch den Eindruck, dass beim DHB eher überhastet als bedacht gehandelt wurde und es bleibt zu hoffen, dass das Vorgehen im zweiten Anlauf sorgsamer angegangen wird.
Dass trotz der bevorstehenden Weltmeisterschaft der Männer im Januar und der bereits groß angerührten Werbetrommel für das „Jahrzehnt des Handballs” in Deutschland die Aufarbeitung nicht wieder schnellstmöglich hinter verschlossenen Türen ausmanövriert wird. Dann könnte statt Zuversicht nämlich etwas Genugtuung und Gerechtigkeit für die betroffenen Sportlerinnen das Auskommen sein.
Zur Startseite