„Jetzt bitte wieder Freiraum!“: Die neue DT-Intendantin Iris Laufenberg im Gespräch
Frau Laufenberg, es sieht noch ziemlich leer aus in Ihrem Intendanzbüro. Umso mehr sticht der Kaktus ins Auge, der hier zwischen uns auf dem Tisch steht. Hat der eine spezielle Bedeutung?
Der Punkt ist: Ich habe keinen grünen Daumen, obwohl ich eine große Vertreterin des Themas Nachhaltigkeit bin. Und meine Kakteen kommen einfach drei Monate komplett ohne mich aus, das ist der Grund meiner Vorliebe für diese schönen Pflanzen. Was aber noch kommt, sind meine Bücher, die stehen in Riesenumzugskartons zu Hause in Berlin. Aber sonst wird es hier eigentlich auch ziemlich leer bleiben: nur Bücher.
Und Kakteen.
Mehr brauche ich nicht, für mehr kann ich auch keine Verantwortung übernehmen (lacht).
Sie kennen Berlin gut, haben lange das Theatertreffen geleitet, bevor Sie als Intendantin erst nach Bern und später nach Graz gingen. Nach elf Jahren kommen Sie jetzt zurück. Was hat sich in der Berliner Theaterlandschaft verändert?
So wirklich weg war ich eigentlich nie. Und ich habe das Gefühl, so viel hat sich nicht verändert. Es sind ja fast überall noch dieselben Leute.
Früher standen die einzelnen Häuser stärker für spezifische Profile: Volksbühne, BE, Schaubühne und Gorki bearbeiteten stofflich wie ästhetisch deutlicher differierende Felder. Inzwischen haben sich die Handschriften aufeinander zubewegt, nicht nur in Berlin. Es gibt einen erkennbareren Mainstream und weniger Extreme. Zudem rotiert auch das künstlerische Personal innerhalb der führenden Theater.
Diesbezüglich hat sich der komplette Diskurs verändert. Die Idee, dass ein Regisseur oder eine Regisseurin ein ganzes Haus prägt, ist gerade absolut nicht angesagt. Wir leben in einer anderen Zeit: Wir arbeiten in Teams und Prozessen an Themen, die uns alle angehen.
Ist das Theater wirklich der Ort, wo immer alles passieren muss, was gesellschaftspolitisch gerade auf der Tagesordnung steht, oder ist das ein Auftrag, mit dem man es völlig überfordert?
Ich glaube, das ist in der Tat eine Anforderung, die das Theater nicht leisten kann, zumal sie sehr äußerlich ist. Wir können nicht politisch korrekt alles abbilden, das ist auch gar nicht unser Anspruch.
Was ist denn Ihr Anspruch?
Am Puls der Zeit zu sein – aber auch tatsächlich im Ensemble und im Team zu leben, ohne Angsträume. Je mehr Kreativität möglich ist, desto mehr Funken können sprühen – das ist es, was ich anstrebe. Das gelingt einem vielleicht nicht sofort, aber ich glaube, man merkt es bereits im Haus. Da geht gerade ein Ruck durch, dass man mal die Hierarchien und Abläufe hinterfragt, dass man die Leute aus den technischen Abteilungen fragt, wie sie ihr Arbeitsfeld sehen und welche neuen Ansätze sie vorschlagen. Das beginnt bei ganz gegenständlichen Dingen wie zum Beispiel beim Recycling im Theaterbetrieb.
Hierarchien aufzubrechen ist in jeder aktuellen Theoriedebatte Standard. Wie weit geht es denn tatsächlich in der Praxis?
Na ja, letztendlich muss ja irgendeiner die Entscheidungen treffen. Das hatten wir ja alles in den 70ern, das Mitbestimmungstheater – mitsamt der Erkenntnis: Wenn alle bei allem mitreden, gibt es am Ende viel Streit. Die Rollen und Aufgaben und auch die Verantwortung jedes Bereichs müssen klar benannt werden.
Wie werden Sie das DT denn künstlerisch aufstellen, wie wollen Sie es innerhalb der Berliner Theaterlandschaft ästhetisch profilieren?
Ich finde, die Häuser befruchten sich doch eigentlich gegenseitig ganz gut. Wir sind nicht die Schaubühne, und wir sind auch nicht das Berliner Ensemble oder das Gorki. Wir sind weder einer Überschrift verpflichtet, die wir uns selbst gegeben haben noch der Tradition, zum Beispiel das Brecht-Haus zu sein. Wir haben viel mehr inhaltlichen Spielraum, sind aber deswegen noch lange nicht das, was dem Theater oftmals vorgeworfen wird: der berüchtigte Gemischtwarenladen. Sondern wir stehen für klare Ästhetiken mit klaren Haltungen. Ich denke, da erkennt man bereits in den Regieteams, die jetzt in unserem ersten Jahr hier arbeiten. Mit ihnen verbindet mich in vielen Fällen eine lange Zusammenarbeit und großes Vertrauen.
Ego-Aufblähen ist ja etwas anderes als wirklich zu wissen, was man will.
Iris Laufenberg
Die meisten Intendanzen beginnen ja zumindest verbal mit der Neuerfindung des Rades. Sie hingegen machen überhaupt keinen Hehl daraus, an vieles anzuknüpfen: Etwa vierzig Prozent der Schauspielerinnen und Schauspieler aus dem bisherigen Ensemble bleiben am Haus, außerdem führen Sie die Autor:innentheatertage oder das Osteuropa-Festival „Radar Ost“ fort. Handelt es sich um einen Fall von mangelnder Profilneurose?
Nein, sicher nicht. Der Punkt ist: Wir machen es ja sowieso anders! Merkwürdigerweise denkt man immer, nur, weil etwas irgendwo anknüpft, bleibt es gleich. Aber erstens dreht sich die Zeit weiter, und zweitens sind wir ganz andere Persönlichkeiten. Wirklich verrückt wären wir allerdings, wenn wir uns einbilden würden, in so einem profilierten Theater tatsächlich das Rad neu erfinden zu wollen oder zu müssen. Nehmen wir zum Beispiel das junge DT.
Das Nachwuchs-Angebot des Hauses.
Das ist so etabliert und zieht so viele Menschen an, dass die Multiplikatoren, die da heranwachsen, gar nicht hoch genug zu schätzen sind. Im Übrigen ist das DT eine super Marke. Warum sollte ich die kaputtmachen?
Abgesehen von den hausinternen Kontinuitäten arbeiten Sie auch mit Künstlerinnen und Künstlern, die teilweise recht lange an anderen Berliner Häusern tätig waren. Den Eröffnungsabend wird Alexander Eisenach bestreiten, der vorher am BE inszeniert hat. Inwiefern werden wir diese Positionen, die wir hier schon seit vielen Jahren kennen, an Ihrem Haus anders erleben?
Ich glaube ja nicht, dass Ihr die wirklich kennt! Ich habe die Abende am BE ja auch gesehen, das ist tatsächlich eine ganz andere Herangehensweise. Gerade Alexander Eisenach ist einer, der mit mir immer ganz anders, viel größer arbeitet. Er hat hier ein großes Ensemble, mit dem er arbeitet, und jede Freiheit, seine Themen zu erarbeiten, mit viel Denk-, Spiel- und Improvisationsraum im Vorfeld.
Für die Leitung des DT sind Sie gefragt worden, Sie haben sich nicht selbst beworben. Warum eigentlich nicht?
Gute Frage! Es gibt natürlich Menschen, die so etwas unmittelbar wollen oder sich auch sofort nehmen. Aber abgesehen davon, dass ich es ohnehin besser finde, gefragt zu werden, weil ich dann noch einmal anders überlegen kann, ob ich das wirklich mit meinem Team machen will, hatte ich auch großen Respekt vor der Aufgabe und dem Haus.
Ist es im Vergleich zu früher – vor zehn oder zwanzig Jahren – eigentlich leichter geworden, so ein großes Theater zu leiten, oder schwieriger?
Eindeutig beides. Die Anforderungen des Diskurses sind ja gigantisch – dahingehend, wie gespalten die Gesellschaft ist und was das Theater alles erfüllen soll: Es soll als sozialer Ort funktionieren, vielleicht sogar als pädagogische Institution, und bei alledem natürlich immer voll sein, was ja auch alles richtig ist. Aber insofern ist es sicherlich schwieriger geworden, ein Haus zu leiten. Als ich Anfang der Neunzigerjahre in Bonn anfing, hat man sich ja gefreut, wenn man das Haus leer spielte: Hurra, wir haben provoziert! Diese Haltung hat sich verändert.
Und was ist einfacher geworden?
Einfacher ist, finde ich, dass sich die Leitung auf verschiedenen künstlerischen Schultern verteilt. Die Regieteams, die hier arbeiten, bekämpfen einander nicht, sie konkurrieren nicht mehr so, wie es einmal war, sondern die inspirieren sich. Das ist viel schöner als früher: Man muss nicht ständig aufpassen, was man wem sagt und wen man jetzt vermeintlich „lieber“ hat (lacht).
Gibt es heute weniger Konkurrenz?
Die jetzige Generation der 30- bis 40-Jährigen ist viel kooperativer und auf eine Art auch selbstbewusster. Ego-Aufblähen ist ja etwas anderes als wirklich zu wissen, was man will.
Kunst und Kultur leben von ihrer Unabhängigkeit und ihren Freiräumen, daran hat Carolin Emcke unlängst noch einmal in der „Süddeutschen Zeitung“ erinnert. „Die Kunst als kreative, als unruhige, als kluge, als witzige und kritische Instanz kann nur bestehen, wenn sie sich eben nicht in den Dienst stellen“ und „dauernd als systemrelevant und nützlich behaupten“ muss, argumentiert sie. Wie positionieren Sie sich als Intendantin eines der führenden deutschsprachigen Theater in diesem Diskurs?
Ich kann das nur hundertprozentig unterschreiben. Wo außer im Theater gibt es noch diese Räume, wo wirklich live alles möglich ist, wo das Publikum direkt reagieren, auch protestieren, kann? Das darf – weil es eben Kunst ist und unmittelbar – auch politisch unkorrekt sein. Ich finde, dieser Raum muss unbedingt existieren! Ich bin ja sehr tief durch all diese Diskurse durchgegangen, von Corona bis zum Gendersternchen, auch mit Streitereien. Denn Gott sei Dank wird ja noch gestritten, was das Zeug hält, zumindest in unseren Kreisen. Es werden nicht einfach Türen zugeschlagen, um damit Auseinandersetzungen zu beenden. Der Prozess musste natürlich sein, ohne Schmerzen können wir nichts verändern. Aber wenn man durch ist, denkt man: Jetzt bitte wieder Freiraum!
Das Theater als dieser gesellschaftliche Denk-Freiraum ist natürlich ein schöner Gedanke. De facto gehört zu den Veränderungen, die die Gesellschaft in den letzten Jahren durchlaufen hat und weiter durchläuft, allerdings auch ein fundamentaler Medienwandel. Theater hat an Status eingebüßt.
Aber den gewinnen wir auch wieder zurück! Davon bin ich überzeugt, und das ist unser Ziel.
Was macht Sie da so optimistisch?
Theater war immer Krise und in der Krise, im Grunde seit der Antike. Und wie die Kritik hat es bis heute überlebt. Wir merken das gerade auch bei jungen Leuten: Sobald der Funke überspringt, sind sie wirklich gefangen von diesem Live-Ereignis. Das finde ich großartig.