Wie die Engländer vor Deutschlandspielen sprachlich aufrüsten
An sich ist der Ausgang klar. England und Deutschland werden sich am Dienstag einen harten Kampf auf dem Rasen von Wembley liefern. Nach 120 Minuten steht es Unentschieden. Dann folgt das Elfmeterschießen – und Deutschland gewinnt und erreicht das Viertelfinale der Fußball-Europameisterschaft.
Denn seit 1966, seitdem die Engländer einmal gegen die Deutschen in einem WM-Finale triumphieren konnten, war in den K.o.-Runden immer Feierabend für die Erfinder des Fußballs gegen die Fußballgroßmacht aus Kontinentaleuropa. Aufregender als das Ergebnis des Spiels war seit 1966 immer das Vorspiel bei dieser Ansetzung. Es ist womöglich auch diesmal so.
Nur nicht den Krieg erwähnen, wenn es im Fußball gegen Deutschland geht. „Don’t mention the war.“ Das ist in England ein Gesetz, das die Boulevardpresse immer wieder bricht, wenn es in einem wichtigen Spiel gegen die Deutschen geht. 1996 bei der EM in England erlebte die Fantasie der bunten Blätter vor dem Halbfinale gegen Deutschland ihren Höhepunkt.
„Let’s Blitz the Fritz“ titelte „The Sun”, „Herr we go“ der „Daily Star“. Im „Daily Mirror” setzte der damalige englische Nationalheld Paul Gascoigne den Stahlhelm auf und erklärte Deutschland den „Fußball-Krieg“. Unter der Überschrift: „The Mirror declares Football War on Germany.“
Die Schamgrenze auf dem britischen Boulevard war immer sehr niedrig, wenn es um Fußballspiele gegen Deutschland ging. Warum das so ist, dafür hatte der englische Sportwissenschaftler Peter Beck schon vor gut einem Jahrzehnt eine prägnante Theorie: „Die Einstellung zu den Deutschen ist beeinflusst durch zunehmend schwammiger werdende Erinnerungen an einstige britische Größe, vermischt mit Mythen, Bildern, Emotionen und irrationalen Vorurteilen, geformt durch Hitler-Deutschland und den Zweiten Weltkrieg.“
Der Zweite Weltkrieg rückt immer weiter weg
Im Jahr 2021 rückt der Zweite Weltkrieg immer weiter weg. Mit dem politischen Brexit haben sich die Engländer auch ein Stück weit aus dem europäischen Sport ausgeklinkt. Die Insel ist mehr Insel als noch im vergangenen Jahrzehnt. Spiele England gegen Deutschland haben weniger Brisanz als früher – für den viermaligen Weltmeister.
Der „Guardian“ stellte sich nun die Frage, ob Deutschland „unser größter, unser tiefster Rivale, unser Erzfeind“ sei? Und beantworte sie mit – nein. Denn es sei keine Rivalität auf Augenhöhe. Die großen Rivalen der Deutschen seien Spanien, Frankreich, Italien oder sogar die Niederlande. Länder, die schon oft ein Finale bei einer EM und WM erreicht haben.
Den bei großen Turnieren chronisch erfolglosen Engländern ist gegen die Deutschen selten ein sportlicher Nadelstich gelungen. Umso größer ist nun die Aufregung vor der nächsten Chance. „Das ist die fantastischste Ansetzung, die es geben kann. Es war fast schicksalhaft, dass es so kam“, sagt Tony Gallagher, Stellvertretender Chefredakteur der „Times“ dem Tagesspiegel.
„Aus vielen Gründen erwarten wir das Spiel mit Furcht. Deutschland hat unsere Träume vom WM-Finale 1990 zerstört, hat England 1996 gedemütigt und uns 2010 in Südafrika verprügelt.“ England habe eine feine junge Mannschaft, wahrscheinlich sei sie stärker als die Deutsche. „Aber ich kenne keinen hier, der vor dem Spiel sehr zuversichtlich ist.“
„Don’t mention the war!“
Klar, es gibt vor dem Spiel am Dienstag ein paar Sticheleien von Seiten des englischen Boulevards, wieder einmal von der „Sun“, die „Spielerfrauen“ der Teams gegenüberstellt oder von einem „Supercomputer“ errechnet haben will, dass England diesmal gewinnt. „For better or Wurst“ ist das Motto. Das war schon mal heftiger im Vorfeld dieser Paarung.
Im November 2017 appellierte Englands Teammanager Gareth Southgate an die eigenen Fans vor einem Spiel in Wembley, keine Gesänge mit Zweite-Weltkriegs-Anspielung zu intonieren. Beim 1:0-Sieg der Deutschen (im März 2017) in Dortmund hatten englische Fans das Stück „Ten German Bombers“ gejohlt. Der Text ist angelehnt an das Kinderlied „Ten green Bottles“, aber eben auch an das rassistische Derivat „Ten little Indians“.
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Das schwammige Bild deutscher Geschichte und Gegenwart manifestierte sich jahrelang auch in der britischen Unterhaltungsindustrie. In der BBC-Serie ,,’Allo, ’Allo“ stolperten tumbe deutsche Besatzer während des Zweiten Weltkrieges durch Frankreich. Die Serie war lange ein großer Renner im englischen Fernsehen.
Und wie Deutschen zu begegnen ist, wusste auch „Monty Python“ John Cleese in der Kultserie „Fawlty Towers“. Vor der Ankunft deutscher Gäste warnt Hotelchef Cleese sein Personal eindringlich, mit den Besuchern behutsam umzugehen und sagt: „Don’t mention the war!“
Ein etwas anderes Duell
Britischer Sarkasmus sollte allerdings nicht mit antideutscher Haltung gleichgesetzt werden. Die Engländer nehmen sich auch andere Länder gern mal vor, Frankreich zum Beispiel. Und dabei spielen sie gern auf lange Zurückliegendes an. Kein Wunder, ist doch das früher die Welt beherrschende Königreich gewaltig geschrumpft und nun nach dem Brexit auch noch isoliert.
Der politische Machtverlust findet seine Entsprechung im Sport. Cricket, Rugby und Fußball haben die Engländer zwar erfunden, aber sie dominieren sie nicht mehr. Das schmerzt, vor allem im Fußball. Dort glaubten sie zwar nach dem vierten Platz bei der WM 2018 und einer so stark besetzten Mannschaft wie diesmal auf dem Weg nach oben zu sein. Aber die doch enttäuschenden Spiele in der Gruppenphase sind ein Stimmungstöter.
Ihr Spieler Jordan Henderson sagte der „BBC“, man habe im Team nicht über das Elfmeterschießen gesprochen und er sei sich nicht sicher, ob das noch passieren würde. Zudem habe England ja ein Elfmeterschießen bei der WM 2018 überstanden. „Es ist eben Teil des Fußballspiels und darauf sind wir gut vorbereitet.“
Ob es nützt? Gary Lineker, 1990 für England im WM-Halbfinale gegen Deutschland dabei, twitterte am Mittwochabend nach dem 2:2 gegen Ungarn durch Leon Goretzka. „Wir alle wissen, die Deutschen schaffen es immer…“ Zumindest gegen England, ließe sich ergänzen.
Wobei es diesmal ein etwas anderes Duell ist. „Es war einfach, die deutschen Teams in der Vergangenheit nicht zu mögen. Die haben viel erreicht, aber eben nur funktioniert“, sagt Tony Gallagher von der „Times“. „Das aktuelle deutsche Team wirkt zerbrechlicher, man kann es einfacher mögen. Und außerdem kennen wir so viele Spieler aus der Premier League.“ Insofern ist es am Dienstag auch ein Wettstreit unter Kollegen.