Soundtrack für die Party am Strand
Für eine junge Frau im Licht der Öffentlichkeit kann die Kontrolle über das eigene Image leicht zum Vollzeitjob werden. Die Begehrlichkeiten der Fans, die Argusaugen der sozialen Medien, die Wahl der musikalischen Partner, selbst das Outfit – noch das kleinste Detail untersteht den prüfenden Blicken eines nicht immer wohlgesonnenen Publikums.
Ella Yelich O’Connor, besser bekannt unter ihrem Künstlerinnennamen Lorde, ist mit dieser Bürde aufgewachsen, seit sie mit 17 Jahren über Nacht zum neuen Popwunder erklärt wurde.
Ihr Debüt „Pure Heroine“, die Blaupause für den emotional-distanzierten, messerscharf-selbstreflektierten Teenage-Angst-Pop, der auch Billie Eilish berühmt machte, und der Nachfolger „Melodrama“ von 2017 wurden mit Preisen überhäuft. Ähnlich wie die junge Widerstandskämpferin Katniss aus der „Die Tribute von Panem“-Reihe, für die sie einen Soundtrack zusammenstellen durfte, avancierte Lorde zum Idol von Teenager-Mädchen.
Irgendwann, erzählte die 24-Jährige kürzlich der „New York Times“, musste sie ihre Social-Media-Accounts abschalten. „Couldn’t wait to turn fifteen / Then you blink and it’s been ten years / Everybody wants the best for you / But you’ve gotta want it for yourself“, bilanziert Lorde auf ihrem dritten Album „Solar Power“, das diesen Freitag erscheint.
Stichwortgeberin eines Millennial-Lebensgefühls
Vier Jahre mussten die Fans auf ein Lebenszeichen von Lorde warten. Doch selbst die Abwesenheit war eine Demonstration ihrer Unabhängigkeit von Erwartungshaltungen. Schon mit „Melodrama“ hatte die Stichwortgeberin eines neuen Millennial-Lebensgefühls bewiesen, dass sich Autorinnenpop und Produktionswerte, die sich gut in der Großraumdisco machen, nicht ausschließen.
Selbst wenn an den Reglern der zuletzt unanständig omnipräsente Jack Antonoff sitzt, der inzwischen als Produzenten-Allzwecklösung von Taylor Swift über Lana Del Rey bis FKA Twigs fungiert.
Obwohl Lorde auf den nutzlosen Plastikmüll CD und umweltschädigendes Verpackungsmaterial beim Vinyl verzichtet, ist „Solar Power“ mehr als ein Fridays-for-Future-Bekenntnis. In ihrer Heimat Neuseeland, wo sich Lorde in den vergangenen Jahren öfter aufgehalten hat, ist der Klimawandel noch gravierender zu spüren als auf der Nordhalbkugel.
Aber die Sonnenenergie hat für Ella, wie sie sich während ihres Sabbaticals wieder nennen lassen wollte, noch eine transzendente Bedeutung. „Das Album feiert die Natur“, verkündete sie vor einigen Wochen ihren Fans. „In Zeiten des Herzschmerzes, der Trauer, tiefer Liebe oder Verwirrung wende ich mich der Natur zu, um Antworten zu finden.“
Flirt mit New-Age-Moden und Hip-Hop
Im Jahr 2021 klingt Lorde damit um einiges ätherischer als ihr abgeklärtes 17-jähriges Alter Ego. Im Video zum Titelsong inszeniert sie sich als eine Art Über-Blumenmädchen in einer Midsommar-Zeremonie am Pazifikstrand. Die neue Naturverbundenheit, musikalisch eine Hinwendung zum Post-Hippie-Westcoastrock, verbindet sie mit den Lockdown-Alben von Taylor Swift und Lana Del Rey. Bei Fans kam der Move nur mittelgut an.
Doch die kalifornifizierte Lorde balanciert ihren Flirt mit New-Age-Moden entwaffnend klarsichtig aus. „Your dreams and inner vision / All your mystical ambitions, they won’t let you down / Do your best to trust all the rays of light“, singt sie in „Secrets from a Girl (Who’s Seen it All)“, einer atemlos dahingekieksten Hommage an den Nullerjahre-Bekenntnispop einer Natalie Imbruglia, unterlegt mit fluffigen Hip-Hop-Beats.
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Vielleicht ist alles aber doch nur eine Finte? Das komatös-schlierige „Stoned at the Nail Salon“ – bester Songtitel seit „Chemtrails over the Country Club“ – suggeriert hinter einem vermeintlichen Millennial-Ennui doch eine existenziell-romantische Verzweiflung.
Wickelrock statt Abendkleid
Wie eigensinnig Lorde an ihrem Image arbeitet, zeigen die Diskussionen um das Albumcover von „Solar Power“, das es auch in einer entschärften Version für einige prüdere Länder gibt: Es zeigt ihren nackten Hintern im Bikini aus einer Upskirt-Perspektive. Den Schnappschuss habe eine Freundin von ihr am Strand gemacht, erklärte sie auf Nachfrage, überrascht von der Minikontroverse; es fange ihr Lebensgefühl gerade treffend ein.
( Lorde: Solar Power (Universal))
Zugegeben, mit der freizügigen Body Positivity einer Nicki Minaj hat das Cover von „Solar Power“ wenig gemein. Doch es ist als deutliche Absage an die Teenager-Stilikone der zehner Jahre zu verstehen. Der Eröffnungssong „The Path“ markiert diese biografische Weggabelung. Lorde erinnert sich darin an ihren Auftritt auf der glamourösen Met-Gala von 2019 – im Valentino-Abendkleid mit einem inzwischen berühmten Gipsarm: „Arm in a cast at the museum gala / Fork in my purse to take home to my mother / Supermodels all dancing ’round a pharaoh’s tomb“. Das ist nicht mehr Lordes Welt.
Ella Yelich O’Connor ist gut beraten, ihren Weg unbeirrt weiterzugehen. Während die Kritik Taylor Swifts neue Erdigkeit auf „Folklore“ als künstlerischen Fortschritt feierte, fallen die Reaktionen auf Lordes Rückzug in die Natur und ins Handgemachte – den besonders böswillige Stimmen gar dem Einfluss Jack Antonoff s zuschreiben – bislang verhalten aus. Regressiv ist allenfalls die exakte Vorstellung, wie eine junge Musikerin ihre Karriere zu planen habe. Lorde reicht ihren Kritikern vermutlich einen Blumenkranz.