Neun Coronafälle – und trotzdem ein Sieg gegen Polen
Timo Kastening hat seinen Humor nicht verloren. Bei Instagram postete der Rechtsaußen am Dienstag ein Video aus dem Quarantäne-Hotel mit Marmorkuchen, Kaffee und Ausblick auf Bratislava, während im Hintergrund Zeilen von Drafi Deutschers: „Marmor, Stein und Eisen bricht – aber unsere Liebe nicht…” ertönten.
Ein paar Stunden zuvor hatte der Nationalspieler der deutschen Handball-Mannschaft vom Teamhotel in die Isolation ziehen müssen. Wie bei sechs weiteren seiner Kollegen wurde bei dem Melsunger das Coronavirus nachgewiesen, wodurch er erst einmal nicht weiter an der gerade in Ungarn und der Slowakei stattfindenden Europameisterschaft teilnehmen kann.
Die Liebe zu dem Event scheint dennoch ungebrochen, wenn man die Zeilen des Klassikers wörtlich nehmen darf. „Angst darf man nicht haben”, hatte Kastening erst am Sonntag nach dem letzten Spiel gegen Österreich gesagt. „Die Situation ist jetzt so und wir müssen das Beste daraus machen.”
Zu diesem Zeitpunkt hatte nur sein Teamkamerad Julius Kühn ein positives Ergebnis vorliegen, anschließend wurde bei Kai Häfner, Luca Witzke, Lukas Mertens, Andreas Wolff und bei Kastening selbst eine Infektion nachgewiesen. Zusätzlich wurde bei dem für Kühn nachnominierten Hendrik Wagner direkt nach seiner Ankunft in der slowakischen Hauptstadt das Virus diagnostiziert und einen Tag später die Fallzahl um Till Klimpke und Marcel Schiller auf neun erhöht.
„Wir wissen nicht, wie das passieren konnte”, sagte Bundestrainer Alfred Gislason, „wir waren immer sehr vorsichtig. Mehr geht eigentlich nicht.” Seit Jahresbeginn hatte sich der deutsche Tross strengen Hygienemaßnahmen unterworfen, setzte diese bei der Europameisterschaft in der Slowakei weiter um und übertraf damit die vor Ort geltenden Regeln bei weitem.
Kritisch hatte man ins zweite Gastgeberland Ungarn geschaut, wo in den vollbesetzten Arenen erst im Verlauf des Turniers eine Maskenpflicht eingeführt wurde. In Bratislava, wo die Organisation scheinbar besser funktionierte, fühlte man sich gut aufgehoben. Und das, obwohl die Polen, die im gleichen Hotel wie die Deutschen wohnen, bereits kurz nach ihrer Ankunft fünf Infektionen vermelden mussten. Durch die Unterbringung in unterschiedlichen Etagen schien die nötige Abgrenzung gegeben, auch weil das Personal ebenfalls keine Überschneidungen bietet – so zumindest die offiziellen Aussagen.
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Die gute Nachricht momentan ist, dass keiner der Spieler Symptome aufweist. Außerdem hofft man, auf einige der Infizierten bald wieder zurückgreifen zu können. Eine fünftägige Isolation ist zunächst allerdings Pflicht, folgen dann zwei negative PCR-Tests im Abstand von 24 Stunden, darf gespielt werden. Derweil plant der DHB einen eigenen Kardiologen einzufliegen, um den gesundheitlichen Zustand der Spieler zuvor zusätzlich zu untersuchen und eventuelle Spätfolgen auszuschließen.
Einen Rückzug von dem Turnier zieht die DHB-Auswahl momentan nicht in Betracht. „Wir haben mit den Spielern gesprochen. Weder die Gesunden noch die Infizierten haben angedeutet, nach Hause zu wollen”, sagte DHB-Sportvorstand Axel Kromer – und Kastenings Post unterstrich dies.
Man selbst habe außerdem bei den eigenen Vorkehrungen noch einmal nachgeschärft. Das Essen werde nur noch abgeholt und allein auf dem Zimmer verzehrt. Außerdem nehme die Europäischen Handball-Föderation (EHF) die PCR-Testungen nun abends vor, wodurch am nächsten Morgen besser auf eventuelle Infektionen reagiert werden könne, anstatt unwissend erst einmal ein Training durchzuführen.
Das Hygienekonzept für Kontaktpersonen sieht unterdessen weiter keine Auflagen vor. Alle Negativgetesteten dürfen spielen – trotz der gemeinsamen Zeit im Hotel und in der Halle. Zusätzlich zu den elf verbliebenen deutschen Akteuren wurden Johannes Bitter, Paul Drux, Fabian Wiede, Sebastian Firnhaber und Rune Dahmke eingeflogen, Patrick Zieker und Daniel Rebmann sollen folgen.
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Im letzten Vorrundenspiel am Dienstagabend stand nominell also eine wesentlich erfahrene und renommiertere Mannschaft auf dem Parkett als bei den Partien zuvor. Und im Verbund gegen die Polen, die nach sieben Infektionen ebenfalls coronageschwächt waren, sah das auch sportlich gut aus. Mit der erhofften „Jetzt-erst-recht-Mentalität” gelang dem deutschen Team ein 30:23 (15:12)-Sieg.
Sie zieht somit mit zwei Punkten in die Hauptrunde ein, wo hochkarätige Begegnungen mit Schweden, Russland, Norwegen und Spanien warten. Vielleicht ist dann auch wieder Timo Kastening mit auf dem Feld. Bis es soweit ist, bleibt ihm nur die gute Aussicht.