Alle Neune

Sie nannten sich Persius-Ensemble, nach dem Architekten, der im 19. Jahrhundert in Potsdam mit seinem Lehrmeister Schinkel die Römischen Bäder schuf, später die Nebengebäude im Glienicker Park, die Heilandskirche in Sacrow und die Villa Schöningen baute sowie das Schloss Lindstedt entwarf. Hier, in dem klassizistischen Kleinod, das hinter dem Neuen Palais und dem Potsdamer Uni- Campus versteckt im Wald liegt, fand vor 22 Jahren ein Konzert statt, das zukunftsweisend werden sollte für das Musikleben in der brandenburgischen Landeshauptstadt.

Die neun Solo-Streicher und -Bläser des damals vor der Abwicklung stehenden städtischen Sinfonieorchesters organisierten als Persius-Ensemble ihre eigene Konzertreihe. Beim Auftritt in Lindstedt hörte sie Joachim Sedemund, erkannte das künstlerische Potenzial der Formation und stellte den Kontakt zum Berliner Ensemble Oriol her. Gemeinsam wurden die Musiker:innen aus Ost und West schließlich zur Kammerakademie Potsdam, dem Hausorchester des neu errichteten Nikolaisaals.

Dass die Festwoche zum 20-jährigen Gründungsjubiläum auf Schloss Lindstedt beginnt, ist ein schönes Zeichen der Wertschätzung für die abenteuerlichen Anfänge der heute international hochgeachteten, 33-köpfigen Kammerakademie. Auch wenn hier zu Zeiten von König Friedrich Wilhelm IV. sicher keine so üppig besetzten Hausmusik-Soireen stattfanden. Im zentralen Salon entfachen die neun Musikerinnen und Musiker eine derartige Klangpower, dass man fürchtet, die geschliffenen Glastropfen könnten vom Kronleuchter gesprengt werden.

Schloss Lindstedt liegt versteckt im Wald, hinter dem Neuen Palais und dem Potsdamer Uni-Campus.Foto: Kitty Kleist-Heinrich

Los geht es mit einem Nonett der französischen Komponistin Louise Farrenc von 1849, das in seiner Eleganz perfekt zum Ambiente des zehn Jahre später errichteten Schlösschens passt. Farrenc fordert die Interpreten aufs Virtuoseste, sogar im langsamen Satz. Die Kammerakademisten meistern die Herausforderungen eloquent, stürzen sich lustvoll in den Furor der vielstimmigen Konversation.

Expressive Großstadtmusik hat Witold Lutoslawski 1959 mit seinen „Tänzerischen Präludien“ geschrieben: So spannungsgeladen, wie die Potsdamer sie am Samstag interpretieren, kann man sie sich gut als Soundtracks für Stummfilmszenen vorstellen.

Beim Jubiläum wird die ganze Stadt bespielt

Eine bedrückende Entstehungsgeschichte hat dagegen das Nonett des 1945 von den Nationalsozialisten ermordeten tschechischen Komponisten Rudolf Karel: Die Skizzen entstanden in einem Prager Gefängnis, auf Toilettenpapier, das ein Wachmann nach draußen schmuggelte. Karel hat einen sehr individuellen spätromantischen Ton, er war gewissermaßen ein zeitgemäßer Traditionalist. Herbstlich gedeckt sind seine Klangfarben, die sangliche Melodik erzählt von Schmerz und Leid, kennt aber auch folkloristische Volksfest-Heiterkeit.

Bei ihrer Festwoche bespielt die Kammerakademie Potsdam bis zum 3. April die ganze Stadt vom Museum Barberini bis zum Palais Lichtenau. Für die großen Konzerte in der Friedenskirche und im Nikolaisaal gibt es noch Karten, wer selber zum Instrument greifen möchte, kann am kommenden Sonntag ins „Waschhaus“ kommen, wenn Chefdirigent Antonello Manacorda mit einem Spontanorchester Werke von Beethoven und Elgar erarbeitet.