Mit Röntgenblick: Eine Doppelschau von Maki Na Kamura
Ein reiches und leuchtendes Farbspektrum, verbunden mit verwaschen gebrochenen Aquarelltönen: Maki Na Kamura kennt keine Angst vor der Farbe. Vielmehr beharrt sie auf den unerschöpflichen Möglichkeiten der Malerei im vollen Bewusstsein ihrer großen Tradition und mit dem selbstbewussten Anspruch einer zeitgenössischen Künstlerin. Damit hat sie mit Contemporary Fine Arts und Michael Werner die passenden Galerien gefunden, die ihr aktuell eine fulminante Doppelausstellung ausrichten.
Weite Landschaft mit kleinen Figurengruppen
38 neue Bilder meist mittleren und größeren Hochformats (Preise: 30.000 – 68.000 Euro), dazu sechs Kohlezeichnungen, präsentiert die zarte Japanerin an beiden Orten auf jeweils zwei Etagen. Auf den ersten Blick lassen sie sich als weitgehend abstrakte, weiträumige Landschaften mit kleinteiligen Figurengruppen oder Einzelfiguren lesen. In der für sie typischen Mischung aus deckenden und lasierenden Partien wachsen unterschiedlichste Oberflächenstrukturen zu schroffen Bergketten, spiegelnden Seen, senkrechten Baumsilhouetten, luftigen Himmeln und dichten Wolkenmassen zusammen. Davor gruppieren sich die zu Clustern verdichteten „Units“ einzelner oder mehrerer Figuren, die – nur durch wenige Pinselstriche, Gesten und Farben angedeutet – dem Blick Halt und Orientierung geben.
Gleichzeitig erzeugen sie ein unbestimmtes Déjà-vu. Erinnert die Dreiergruppe nicht an ein Urteil des Paris und die Zweiergruppe an eine Vertreibung aus dem Paradies? Finden sich solche Figurengruppen nicht auch auf frühen Renaissance-Bildern? Und die hockende Figur mit den abgewinkelten Armen, die gerade eine Schüssel anzuheben scheint?
Von Luca Signorelli, Giorgione, Jean-François Millet, Puvis de Chavanne und vielen anderen stammen die Vorbilder, die Maki Na Kamura so sehr verinnerlicht hat, dass sie in ihrer Bildstruktur wie von selbst zum Vorschein kommen, und im besten Fall nachträglich identifiziert werden können. Wie mit Röntgenblick scheint Na Kamura die Kunstgeschichte zu durchleuchten, um ihren genetischen Code, ihre kompositorische Matrix und ihre figurativen Pathosformeln zu analysieren.
Dabei lässt sich Ihre Reflexion über die Malerei überhaupt nicht trennen von der Malerei selbst, wenn die Künstlerin in einem frühen Text unter Pseudonym über ihre Malerei schreibend die strukturelle Verwandtschaft von Caspar David Friedrich und Hokusai freilegt. Sie verfügt über eine Art zweites Gesicht, das sie hinter einer unbeweglichen Mimik und auf ihrem YouTube-Videokanal hinter verschiedenen Masken verbirgt; eine Art doppeltes Sehen, das sie sogar kompositorische Gemeinsamkeiten zwischen Figurengruppen der alten Meister und Choreographien des K-Pop erkennen lässt.
Bilder von Jörg Immendorff lockten sie nach Deutschland
Während CFA seit 2017 bereits die dritte Einzelausstellung der japanischen Künstlerin präsentiert, sind ihre Werke nun zum ersten Mal auch bei Michael Werner in Berlin zu sehen, nachdem eine vergleichbare Werkgruppe im Frühjahr in seiner Londoner Filiale ausgestellt war. Die Verbindung reicht jedoch bis in die Mitte der neunziger Jahre zurück, als die in Osaka geborene und ausgebildete Malerin in ihrer Heimatstadt eine große Ausstellung des von Michael Werner vertretenen Künstlers Jörg Immendorff sah. Dessen narrative Agitprop-Malerei war ein so nachhaltiger Schock für die bisher informell arbeitende Künstlerin, dass sie sich entschloss, ihre japanische Heimat zu verlassen, um bei Immendorff zunächst in Frankfurt dann in Düsseldorf zu studieren.
Ohne dass es offensichtliche Verbindungen gäbe, sind es die unterirdischen Strömungen des Sonderbaren und Eigensinnigen, denen Na Kamura mit Vorliebe folgt. Oberirdisch und selbstbestimmt führte ihr Weg weiter nach Berlin, wo ihre Werke zum ersten Mal 2005 für eine Woche in einem selbst angemieteten Raum in der Fasanenstraße zu sehen waren, finanziert durch den ersten Verkauf eines Bildes.
Maki Na Kamura lebt auf einem neogotischen Landschloss
Von diesen Anfängen bis zu ihren institutionellen Ausstellungen in Hagen, Deurle, Bilbao und Oldenburg erzählt die Künstlerin in ihrem Atelier in Märkisch Wilmersdorf, eine halbe Stunde südlich von Berlin, wo sie seit Anfang der 2000er Jahre zusammen mit Michael Werner in einem neogotischen Landschloss lebt und arbeitet. Obwohl das schmale Fensterband des langen Backsteingebäudes nur wenig Licht und Blick auf den verwilderten Park bietet, erzählen die an den Wänden aufgereihten Bilder von der weit verzweigten Spurensuche und dem Farbreichtum ihres inneren Blicks. In den repräsentativen Altbauetagen der beiden Charlottenburger Galerien können sie nun, sparsam und mit leichtem Abstand zur Wand gehängt, ihre ganze Pracht entfalten.