Breakdance im Bode-Museum
Tanz ist Kommunikation, je nach Thema mehr oder weniger komplex. Einfache Gespräche wie „Ich will dich kennenlernen“ oder „Ich bin toller als du!“ – „Nein, ich bin toller als du!“ lassen sich jedenfalls problemlos führen.
Im Video zu Jason Nevins’ Remix der Debütsingle von Run DMC „It’s like that“ kann man so einen Dialog sehen: Zwei Breakdance-Crews, die eine rein weiblich, die andere rein männlich, „batteln“ sich in einem leeren Parkhaus zu den Beats von Nevins und den Rappern. Mal „freezen“ die B-Boys, mal die B-Girls; mal macht eins der Mädchen einen Headspin, mal überschlägt sich ein Junge im Airtwist. Als einem beim Posen die Perücke vom Kopf rutscht, lachen sich die Mädels kaputt.
Dialogfreies Erzählen hat jedoch seine Grenzen. Ohnehin ist Katja von Garnier mit ihrem Film „Fly“ ein gleich mehrfaches Wagnis eingegangen.
Einen Tanzfilm in Deutschland zu produzieren, ist schon deshalb riskant, weil das Genre vom klassischen Ballett auf der einen und der ebenfalls hochgradig professionellen Musicalszene oder Menschen wie Detlef D! Soost auf der anderen Seite dominiert ist. Auch fehlt hier die in den USA traditionelle organische Verbindung der Hip-Hop- mit der Breakdance-Kultur. Die durchschnittsdeutschen Fähigkeiten beschränken sich eher auf den „Ententanz“.
Und obwohl der expressionistische „contemporary dance“ zeitgleich mit dem Modern Dance in den USA entstand und Kreative wie Pina Bausch oder Sasha Waltz ihn in die Jetztzeit holten, ist der Tanzfilm hierzulande eine Nische geblieben. Trotz Werken wie „Into The Beat“ oder „Dessau Dancers“. Vermutlich denkt man einfach zu schnell und mit Schaudern an Revuefilme wie „Karneval der Liebe“ von 1943.
Die Heldin tanzt sich vom Knast-Resozialisierungsprogramm bis zum Park-Battle
Katja von Garnier hat „Fly“ zusammen mit der Berliner Breakdance-Company Flying Steps realisiert und setzt mutig auf die Kraft des rein körperlichen Erzählens: Tanz als Handlung, Dialog, Monolog, Charakterbeschreibung und emotionale Reaktion. Zwar beschränkt sich die Rahmenstory auf einen etwas vorhersehbaren „Außenseiterin findet durch ambitionierte Lehrerin Lebensmut wieder“-Plot.
Aber die Regisseurin inszeniert und komponiert surreal schöne Sequenzen, wenn sich ihre durch ein Unfallerlebnis traumatisierte Protagonistin Bex (Svenja Jung) vom Resozialisierungsprogramm im Knast über Ausstellungen und Pas de deux unter Bäumen bis hin zum Park-Battle tanzt.
Dass die Projektleiterin Ava von Jasmin Tabatabai, die Gefängnischefin von Katja Riemann und eine den delinquenten Tanz-Eleven zugewandte Pädagogin von Nicolette Krebitz gespielt werden, duftet zwar nach einer Reunion der Knastband in „Bandits“- Garniers Roadmovie-Erfolg von 1997. Aber es hat keine weitere Bedeutung. Zumal Tabatabai keine Tänzerin ist und ihre Ava zunächst lange humpeln muss, um in ihrer einzigen Tanzszene später gedoubelt zu werden. Das ist irgendwie rührend, und verständlich. In „Drei Engel für Charlie“ segelt ja auch nicht die echte Drew Barrymore durch die Luft.
Die Komponisten Ketan und Vivan Bhatti, die oft mit den Flying Steps zusammenarbeiteten, haben zu den bewegenden Choreografien von Phillip Chbeeb und Yaman Okur einen konsequent modernen, originellen und natürlich rhythmischen Score geschrieben, der durch Rapsongs (u.a. Busta Rhymes) ergänzt wird. Dass deutscher HipHop nur ein einziges Mal in Form der üblichen Beschimpfungen aus dem Auto eines Antagonisten der sich zusammenraufenden Knast-Tanzcrew erklingt, ist ein hübscher kleiner Hieb in Richtung Deutschrap und seiner Dicke-Hose-Protagonisten. Nein, so richtig geile Beats spinnt man hier eher nicht.
[“Fly” läuft ab 14. Oktober in 13 Berliner Kinos]
Eine kleine Liebesgeschichte garniert darüber hinaus die Selbstfindung von Bex; auch Ava muss lernen, ein Trauma zu überwinden. Auf dem Weg zum Ziel, dem eigenen Tanztheater, tanzen sich die Beteiligten, die größtenteils Mitglieder der Flying Steps sind, durch die Stadt, durch Wasser und ein Museum, durch Straßen und Parks.
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Wie die internationalen Profis sich Berlin als Kulisse aneignen, ist keine Degradierung der Stadt, sondern ein Upgrade. Allein die großartige Szene, in der sie die Skulpturen im Bode-Museum umgarnen, deren Gesten und Posen in „Freezes“ nachahmen, zeigt gelebte kulturelle Anerkennung, und poetische Kulturbildung: Wie könnte man eine Statue, den Schwung der Figur, das Filigrane des Bildhauerhandwerks besser begreifen als durch Nachahmung?
Der etwas aufgebauschte, angeblich im Hintergrund lauernde Konflikt zwischen Ballett und modernem Tanztheater spiegelt sich auch im Streit zwischen einem der Gefängnis-Oberen und der unbeugsamen Ava: Das erinnert an Alan Parkers „Fame“ über Jugendliche an der New Yorker Schauspielschule und lässt die Rahmenhandlung altmodischer wirken, als der Film insgesamt ist. Und ein paar weniger Glückskeks-Weisheiten hätten es vielleicht auch getan.
Dennoch schafft „Fly“ mit den so federleicht wirkenden, aber hochkomplizierten Bewegungen seiner Protagonisten eines bravourös: zu beweisen, wie viel Kommunikation im Tanz steckt.