Ein Barock-Abend mit dem Countertenor-Star Bejun Mehta
Ein liebender, leidender Herrscher, ein vor Zorn wütender Liebender. Wenn der Countertenor Bejun Mehta dem römischen Kaiser in Händels Oper „Giulio Cesare in Egitto“ seine Stimme leiht, ist man schnell irritiert. Ein Machtmensch, der sich vor lauter Liebeskummer in ein Meer voller Seufzer stürzt? Der sich vor Sehnsucht verzehrt und dabei noch in die Herzen seiner Feinde zu blicken vermag, jeden Betrug durchschaut?
Der us-amerikanische Wahlberliner Bejun Mehta (ein Großneffe des Dirigenten Zubin Mehta) ist nicht nur ein Star des Countertenor-Fachs, er ist auch ein immens begabter Schauspieler-Sänger.
Beim Barock-Abend mit der Akademie für Alte Musik im Pierre Boulez Saal schreitet er in vier Arien aus der Händel-Oper die gesamte Welt der Affekte aus, bannt das Publikum mit expressiven Zeichen des Schmerzes, der Sehnsucht, des Überschwangs. Jedes größere Intervall fasst er mit Fingerspitzen an – ein hochkultivierter Aufruhr der Gefühle, mal schneidend, mal sanft, nie plump explosiv.
Ob er sich im Zwiegespräch mit dem Jagdhorn auf die Pirsch nach den Intrigen seiner Gegner begibt, ob er die virtuosen Koloraturen durch seinen Körper wie durch ein Gefäß hindurchrinnen lässt (und die Hände dabei zur Merkel-Raute formt) oder die Strahlkraft seiner Stimme mit vollendeter Noblesse ausspielt und wieder zurücknimmt: Es ist in der Tat „wunderschön“, wie ein Herr im Parkett ruft, in die Stille nach einem Arienschluss. Und obendrein nicht einfach nur schön. Noch die Verzierungen in den Wiederholungen nutzt Bejun Mehta, um einen schillernden, zwiespältigen, zerrissenen Charakter zu porträtieren. Cäsar, einer von uns.
Auch die Musiker legen Fingerspitzengefühl an den Tag
Umgeben ist der Sänger im Oval des Boulez Saals von Mitgliedern der Akademie für Alte Musik, Studierenden und Alumnis der Barenboim-Said-Akademie. Junge und Ältere, Experten und Novizen der historisch informierten Aufführungspraxis. Man wechselt auch schon mal die Plätze zwischen der eingangs gespielten Händel-Suite aus „Terpsicore“, den beiden Concerti grossi seiner Zeitgenossen Pietro Locatelli und Giuseppe Valentini sowie der abschließenden Suite aus Händels Oper „Ariodante“.
Auf diese Weise nimmt die barocke Lust am Wechselspiel sichtlich Gestalt an, am Schaulaufen mit Begleitung, am Frage-Antwort-Dialog zwischen den Stimmen, auch zwischen Solisten und Tutti.
Was das Fingerspitzengefühl betrifft, steht das 19-köpfige Ensemble dem gefeierten Countertenor in nichts nach, der zuletzt das Album “Cantata” eingespielt hat, unter anderem mit Werken von Bach, Händel und Vivaldi – auch mit der Akademie für Alte Musik. Das Instrumentalprogramm der Akademisten im Boulez Saal versammelt barocke Tanzmusiken, die vom beschwingten Dreiertakt leben, von federleichten Läufen, melancholischer Verhaltenheit und dem Stillstand der Zeit vor dem nächsten Wirbel der Violinen oder der Continuo-Gruppe.
Kaum dass die Füße den Boden berühren: Die Musikerinnen und Musiker hebeln die Schwerkraft aus, selbst in den schwermütigeren Sarabandes und Graves. Kecke Auftakte, hingetupfte Tonwiederholungen, verblüffend feine Wendungen ins Dissonante bei Valentini – es ist ein Abend voller filigraner Schätze. Mehr Behutsamkeit, mehr Freundlichkeit, es täte uns allen gut.