Kafka-Jubiläumsausstellung im Jüdischen Museum Berlin: Hinter den Türen nur dunkle Räume

Ob Martin Kippenberger je selbst darinsaß? Sechs Jahre bevor er 1997 verstarb, schuf er seine Installation mit Schleudersitz auf einer kreisrunden Karussellbahn. Von einem Pult aus kann das Gefährt angekurbelt werden: um sich selbst und zugleich im Kreis drehend. Es dürfte einem darin auf die Dauer schwindelig werden. Das Ende der Fahrt bestimmt allerdings derjenige an der Kurbel, eine höhere Macht.

Das auf den ersten Blick heitere Arrangement mit Schienenschwellen so bunt wie die Farbpalette eines Malers ist nun wieder aufgebaut in der großen Galerie des Jüdischen Museums anlässlich der Kafka-Schau. Und sofort zieht es die Blicke auf sich. Wie Kafka war Kippenberger ein Meister darin, das Lächerliche mit dem Tragischen zu verbinden, die Abgründe seiner Künstlerexistenz zu ergründen. Auch hier kreist er um sich selbst: ein großer Spaß, so lange bis einem speiübel wird.

„Wer Künstler werden will, melde sich!“ steht schon im Treppenhaus des Jüdischen Museums auf dem Weg in die Ausstellung „Access Kafka“ zigfach auf die Wand tapeziert. „Jeder ist willkommen!“ heißt es außerdem auf dem Plakat in Kafkas Romanfragment „Der Verschollene“, auch bekannt als „Amerika“..

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Originalzeichnungen von Kafka sind in der Ausstellung zu sehen

Vom Risiko des Künstlerdaseins ist darin allerdings keine Rede. Zuversichtlich bewirbt sich die Romanfigur Karl Roßmann und wird am Ende doch nur ein besserer Hausmeister. Der Zugang zu den höheren Weihen bleibt ihm versperrt. Wie so oft bei Kafka: Wieder hat es jemand nicht rein geschafft oder kommt nicht raus.

Die Frage, wem Zugang gewährt wird und wem nicht, das Motiv der Doppeldeutigkeit, der inneren Zerrissenheit geleitet durch den anregenden Parcours. „Ping!“ klingt es regelmäßig gleich zu Beginn, als Eingangsmelodie. In ihrem Video von 2010 setzt Hito Steyerl Hammer und Meißel an einen Bildschirm an. In dem Moment, wo sie zuschlägt und der Monitor eigentlich zersplittern müsste, taucht darauf ein Bild auf.

Wie gefangen: Tuschezeichnung aus Franz Kafkas schwarzem Notizbuch, um 1923.

© Max Brod Archiv, National Library of Israel

Kafka wusste genau, was die Vorstellung weckt und eine Illustration womöglich zerstört. So instruierte er seinen Verleger Kurt Wolff streng, dass Gregor Samsa keinesfalls als Käfer auf dem Einband seiner Erzählung „Die Verwandlung“ auftauchen dürfe. Über ein anderes Gebot von ihm setzte sich allerdings zum Glück Kafkas Vertrauter Max Brod hinweg und rettete dadurch seine Schriften nach Israel, statt sie zu vernichten.

Zu den häufigsten Begriffen in den Briefen und Manuskripten gehören Tür, Schwelle, Fenster, Guckloch. Den Moment des Übergangs, des Einlasses, der versperrten Sicht faszinierte auch Kafkas Zeitgenossen Marcel Duchamp. Die Ausstellung zeigt seine „Boite-en-Valise“, ein tragbares Museum mit diversen Auflagenobjekten en miniature, welches er im Koffer ins Exil in die Vereinigten Staaten mitnehmen konnte.

Der Käfer durfte nicht auf den Titel

Dazu gehört auch „Fresh Widow“, ein Fenster mit verklebten Scheiben, dessen Titel Duchamp von der Bezeichnung „French Window“ ableitete. Als alternatives Bildmotiv für „Die Verwandlung“ empfahl Kafka übrigens seinem Verleger eine leicht geöffnete Tür mit Blick in einen verschatteten Raum. Er selbst kannte die Abgründe dahinter: Spätere Untersuchungen der Wohnung seiner Familie in Prag ergaben, dass die Anordnung der Zimmer dem Interieur der Romanfigur Gregor Samsa entsprach.

Die Zwanghaftigkeit des Raums führt auch Anne Imhof in ihren Performances immer wieder vor. Für „AI Winter“ filmte sie ihre Partnerin Eliza Douglas 2022 im Gorki Park in Moskau. In Jeans mit nacktem Oberkörper geht die hagere New Yorkerin wie ferngesteuert mit eckigen Bewegungen zwischen Betonmauern auf und ab.

Martialischer Sound, fragile Soldaten

Aus heutiger Sicht glauben wir darin bereits das Soldatische zu erkennen, den kommenden Ukraine-Krieg. Aus Boxen wummert dazu martialischer Sound. Auch in Kafkas Zeichnungen lassen sich Hinweise finden: vier Uniformträger mit Gewehr, überragt von einem Reiter auf riesigem Pferd. Über das Geschehen wachen wie anonyme Befehlsgeber drei schemenhafte Gestalten.  

Die Ausstellung lebt von den verschiedenen Verknüpfungen, die ein Licht ebenso auf Kafka wie die kombinierten Kunstwerke werfen. Sogar der Ort selbst gerät zum Gegenstand, das ehemalige Kammergericht. In den 1980er Jahren hatte die Berliner Künstlerin Maria Eichhorn noch als UdK-Studentin die Bezirksverwaltung um ein freies Grundstück für eine Intervention im öffentlichen Raum gebeten und durfte die damalige Brache neben dem barocken Gebäude bespielen, wo heute der Libeskind-Bau steht.

Das Werk ist verschwunden, nur Fotos existieren noch von rotbemalten Steinen und Ästen da und dort im Sand, halb eingebuddelten Schubladen. In einem Film huscht die Künstlerin durchs Bild. Die Aufnahmen erscheinen auf einem großen Baumfäll-Plan, der wiederum auf eine der Betonmauern von Libeskind projiziert ist. Nach Ausstellungsende wird sich also auch diese Rekonstruktion auflösen.

Dem Verzehrenden der Kunst widmete Kafka eine eigene Erzählung, „Ein Hungerkünstler“. Kurz vor seinem Tod verrät dieser seinem Wächter den Grund dafür: „weil ich nicht die Speise finden konnte, die mir schmeckt“. Arme Künstler. Das helle „Ping!“ aus Hito Steyerls Video klingt einem noch lange in den Ohren.