Über allem die Kunst: Die Shortlist des Deutschen Buchpreises

Es ist so eine Sache in diesem Jahr mit dem Deutschen Buchpreis. Die Aufregung um die Longlist hielt sich in überschaubaren Grenzen, da waren halt zwanzig ordentliche Titel nominiert worden. Die jetzt verkündete Shortlist sieht ebenfalls so aus, als könnte man nichts anderes dazu sagen als: „Ist okay, Jury“. Nur: Es hätten auch sechs andere Titel auf der Shortlist landen können, was genauso okay gewesen wäre. Oder, um es mit der beliebten deutschen Indierockband Tocotronic zu sagen: „Es ist egal, aber“.

Nominiert sind Jan Faktor mit seinem Pseudo-Schelmenroman „Trottel“, Eckhart Nickel mit seinem Künstlerroman „Spitzweg“, Fatma Aydemir mit ihrem Familienroman „Dschinns“, Kristine Bilkau mit ihrem Dorfroman „Nebenan“, Daniela Dröscher mit ihrem autofiktionalen Mutterroman „Lügen über meine Mutter“ und Kim de l´Horizons von einer non-binären Erzählerfigur bestimmtes „Blutbuch“ über „die Dinge“, wie es der Verlag schreibt, „die wir ungefragt weitertragen: Geschlechter, Traumata, Klassenzugehörigkeiten“.

Nun aber kommt das „aber“ von Tocotronic ins Buchpreis-Spiel, zumal von den jeweils „überzeugenden ästhetischen Eigenheiten“ in der Begründung der Jury die Rede ist: Warum steht das literaturästhetisch überzeugendste Buch, nämlich Esther Kinskys „Rombo“ nicht auf der Shortlist? Weil womöglich doch primär auf Inhalt und Stoffe geachtet wurde, wie im Fall von Kim de l’ Horizon? Und in dem von Fatma Aydemir. Die Berliner Schriftstellerin erzählt in „Dschinns“ die Geschichte einer Familie mit kurdischem Hintergrund, wie es dieser in Deutschland ergeht und in der Türkei ergangen ist, und sie erzählt von den nicht zuletzt vielfältigen Identitätssuchen einiger der jüngeren Familienmitglieder.

Was ist mit Anna Kim? Mit Esther Kinsky?

Womit man bei der Frage ist, warum Anna Kim mit ihrem bedenkenswerten, selbst in seinen dokumentarischen Passagen gelungenen Roman „Geschichte eines Kindes“ nicht in die engere Auswahl kam? Kims Roman handelt davon, wie die ethnische Herkunft entscheidend Lebenswege bestimmt und Rassismus ein unausrottbares Übel ist.

Ach ja, und was war nochmal mit Norbert Gstreins „Vier Tage, drei Nächte“ und Robert Menasses „Die Erweiterung“, zwei Romane, die es nicht einmal auf die Longlist geschafft haben? Gegen Gstreins Roman lässt sich einiges einwenden. Elegant und gut erzählen kann der österreichische Schriftsteller wie kaum jemand., ästhetisch eigen ist er immer. Egal.

Schaut man also weiter auf der Shortlist herum, bleiben am Ende im Grunde nur zwei Romane, die literarisch aus einem Guss daherkommen, die also nicht eine einzige Verweigerung sind wie Jan Faktors zum Teil großartiger, zum Teil betont viel zu viele weiße Flecke aufweisender „Trottel“. Oder die nicht bisweilen doch allzu formlos Lebensmaterial auftürmen wie Daniela Dröscher mit „Lügen einer Mutter“.

Zum einen ist das Kristine Bilkaus „Nebenan“, der letzten Endes aber eine Spur zu still und zu biedermeierlich ist. Und zum anderen Eckhart Nickels „Spitzweg“, der allein schon durch das Künstliche seiner Atmosphäre, seines Settings und der Spitzweg–Referenzen wegen Spaß macht. Die Kunst, sie ist in diesem Roman Lebensform und Objekt zugleich, ein Spiegel auf den Gründen der Seele und des Ichs. Ob die Jury den Mut hat, diesen tatsächlich besten Roman dieser Liste mit dem Deutschen Buchpreis auszuzeichnen? Man kann es sich kaum vorstellen. Vergeben wird der mit 25 000 Euro dotierte Preis am Montag, den 17. Oktober im Frankfurter Römer, wie immer zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse.

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