Wandlungsfähige Handelnde: Frank Bösch über Deals mit Diktatoren
Als Robert Habeck sich im März 2022 vor dem katarischen Energieminister verbeugte, war ihm die Häme der Öffentlichkeit sicher. Ein grüner Wirtschaftsminister besucht einen autoritären Staat, um Flüssiggas zu beschaffen. Was von manchen als Ikonografie der demokratischen Selbstvergessenheit gelesen wird, ist für andere „business as usual“.
Der Ukrainekrieg war auch das Ende eines Geschäftsmodells, das von billigem russischem Gas befeuert wurde, seitdem ist eine neue Phase wirtschaftspolitischer Deals angebrochen. Frank Bösch, Leiter des Leibniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung, legt nun mit „Deals mit Diktaturen“ „eine andere Geschichte der Bundesrepublik“ vor.
Anders erscheint daran, dass Geschichte über den Rückspiegel der außenpolitischen Beziehungen Westdeutschlands betrachtet wird. Und die sind in der Frühphase ein kompliziertes Feld. Denn auch wenn die westlichen Alliierten alles daransetzten, die Bundesrepublik ins Bündnissystem zu integrieren, wollte niemand dem Nachfolgestaat des Dritten Reichs zu nah kommen. Der erste US-Präsident besuchte erst 1959 die Bonner Republik.
Monarchische Opulenz
Um sich dennoch den Anstrich internationaler Anerkennung zu geben, lud man Staatsgäste ein, die monarchische Opulenz im Gepäck hatten: den Schah von Persien oder den äthiopischen Kaiser Haile Selassie. Damit der Inszenierung nichts im Wege steht, wurden Proteste oder kritische Medienberichte so weit wie möglich untersagt. Die Suche nach dem Platz in der Welt ist innenpolitisch auch Aushandlung mit der eigenen demokratischen Grundfestigkeit, die gerade in der Adenauer-Ära großzügig ausgelegt wurde.
Von diesen Anfängen spannt Bösch einen Bogen der Auslandsbeziehungen, der von den Diktaturen Spaniens und Portugals über die Regime in Lateinamerika und Afrika bis zur Sowjetunion führt. Darüber wird nicht nur Globalgeschichte verständlich, sondern auch das Innere der BRD sichtbar. Denn was sich auf der oberen Ebene der Diplomatie bewegt, vollzieht sich auch immer parallel in der Zivilgesellschaft.
Politische Asylsuchende aus Chile oder Griechenland brachten die Konflikte ihrer Heimatländer mit und fanden in Parteien, Vereinen und Gewerkschaften Verbündete in ihren Kämpfen. Einen besonderen Fokus legt Bösch auf die Arbeit von Amnesty International, in dessen Archiven er viel recherchiert hat. Die NGO sieht er als maßgeblichen Treiber für das Herausbilden eines Bewusstseins der Rolle von Menschenrechten in der Außenpolitik.
Flexibilität und Konfliktbereitschaft
Mit dem Ende der Ära Adenauer und dem Anbruch der sozialliberalen Ära wurden außenpolitisch neue Akzente gesetzt. Was über alle Jahrzehnte mehr oder weniger gleich bleibt, ist das Primat der Wirtschaft. Ob nun gegenüber des exzentrischen Muammar al-Gaddafi oder der Volksrepublik China: Die BRD beweist sich als ein Akteur, der sich mit hoher Flexibilität Räume für Handelsbeziehung sucht, selbst wenn das bedeutet in den Konflikt mit den USA oder anderen westlichen Staaten zu geraten.
Um dem gröbsten Reputationsschaden abzuwenden, wurde man seitens der Bundesregierung immer wieder kreativ. Als Anfang der 80er Waffen an Pinochets Chile geliefert werden sollten, schlägt das Außenministerium vor, U-Boote zu schicken. Das hilft der heimischen Werftindustrie und verhindert das Entstehen unschöner Bilder: Mit U-Booten hat noch nie jemand auf Demonstranten geschossen.
Böschs Buch kennt viele solcher Details, über die das große Ganze der Vertracktheit, aber auch der Zynismus von Diplomatie deutlich wird. „Deals mit Diktaturen“ setzt seinem skandalösen Inhalt einen deeskalierenden Ton entgegen, der Autor hält sich mit Wertungen weitgehend zurück.
Mit der Höflichkeit eines Historikers
Manchmal würde man dem Buch gerne mehr Mut zur sprachlichen Dringlichkeit wünschen, denn so geht im höflichen Ton der Geschichtswissenschaft fast ein bisschen unter, was Böschs Methodik als Pointe bereithält: „Wandel durch Handel“ wurde bislang als strategisches Wirken nach Außen gedacht. Doch ist es vor allem die deutsche Gesellschaft, die damit einen Wandel vollzieht – womit man wieder bei Robert Habeck wäre.
In einer Zeit, in der die Frage, ob man russisches Gas beziehen sollte zu einem innenpolitischen Glaubenskampf quer durch alle Lager geworden ist, wird eines deutlich: Der „Handel“ besteht nicht nur darin, demokratische Werte ins Ausland zu exportieren, sondern auch Konfliktlagen auf die deutschen Marktplätze zu importieren.
Von den frühen Übergriffen auf die Pressefreiheit der Adenauer-Ära bis zur Energiepolitik unserer Gegenwart sieht die deutsche Gesellschaft sich selbst im Rückspiegel ihrer Auslandsbeziehungen. Frank Böschs Buch leistet einen großen Beitrag diesen Blick zu vereindeutigen.