Hertha BSC bleibt sich selbst treu
Davie Selke spurtete los, war auf dem Weg tief in die Hälfte des FSV Mainz. Keiner hielt ihn auf. Doch Schiedsrichter Harm Osmers hatte die zweite Halbzeit noch nicht angepfiffen. Selke wurde zurückbeordert. Damit war dieses kleine Problem aus der Welt geschafft. Das weitaus größere Problem für Hertha BSC: So viel Leidenschaft zeigte die Mannschaft ansonsten beim 0:4-Desaster in Mainz nicht ansatzweise.
Fünf kümmerliche Torschüsse hatten die Berliner im Spiel zustande gebracht. Wenn es schon vorn nicht läuft, sollte es wenigstens hinten halbwegs passen. Aber auch davon war der Bundesligist sehr weit entfernt. Bei den ersten drei Gegentoren hatten die Mainzer in und um den Strafraum Platz wie sonst wohl nur bei Testspielen gegen Klubs aus unteren Ligen. Beim vierten Gegentor sah Torwart Alexander Schwolow nicht gut aus.
Von einem „gebrauchten Abend“ sprach Trainer Tayfun Korkut. Mittelfeldspieler Kevin-Prince Boateng wurde bei ’Sky’ deutlicher: „Das war ein Totalausfall der Mannschaft.“ Etwas überraschend schob Boateng hinterher: „Aber das ist nicht schlimm. Wir haben zwei gute Spiele gehabt, das heute kann mal passieren. Es war nicht unser Tag.“ Natürlich könnte die alte Weisheit greifen, lieber einmal 0:4 verlieren als vier Mal 0:1. Und selbstverständlich ist nicht zu erwarten, dass eine Mannschaft aus dem unteren Bereich der Tabelle plötzlich nur noch gewinnt. Daher kann es vorkommen, dass Hertha in Mainz verliert. Allerdings sollte es nicht in dieser Art geschehen.
Erschwerend kam hinzu, dass es zum wiederholten Male auf diese Art geschah. Schon beim FC Bayern (0:5) und RB Leipzig (0:6) war Hertha die Sache ergebnistechnisch aus dem Ruder gelaufen. Nun also vier Gegentore – es hätten noch mehr sein können. Kurzzeitig war am Dienstag der VfB Stuttgart die Mannschaft mit den zweitmeisten Gegentoren ligaweit, durch das 0:5 gegen den FC Bayern München. Am Abend zog Hertha in dieser Kategorie wieder vorbei.
„In keiner Weise das hinbekommen, was wir uns vorgenommen hatten“
Die Totalausfälle in München und Leipzig fielen noch in die Amtszeit von Trainer Pal Dardai. Es gelang Dardai außerdem nicht, wenn es vorübergehend besser lief, Konstanz reinzukriegen. Dann übernahm Korkut, Hertha holte beim VfB Stuttgart und gegen Arminia Bielefeld vier von sechs möglichen Punkten. Auch im spielerischen Bereich deutete sich ein Aufwärtstrend an. Jetzt fasste Korkut konsterniert zusammen: „Wir haben in keiner Weise das hinbekommen, was wir uns vorgenommen hatten.“
Schafften die Berliner in Stuttgart ein starkes Comeback und spielten gegen Bielefeld gut, liefen sie diesmal nur hinterher. Oder nicht einmal das. Die Mainzer sind stärker als die vorherigen Kontrahenten, ein absolutes Topteam sind sie nicht. Weshalb es stark verwundert, dass Hertha den Gastgebern einen Abend genehmigte, an dessen Ende Trainer Bo Svensson feststellte: „Alles war gut heute.“
Weil bei Hertha nichts gut war. Zumal auch noch Suat Serdar und Stevan Jovetic ausgewechselt werden mussten. Serdar wird laut „Bild”-Zeitung“ wegen einer Bänderdehnung im Knie im nächsten Spiel ausfallen. Bei Jovetic (Wade) ist alles offen.
[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können]
„Erschrocken ist man als Trainer nie“, sagte Korkut zwar trotz der erschreckenden Darbietung. Aber: „Spielbesitz und Ballkontrolle haben uns gefehlt.“ Einmal bei der Mängelauflistung angelangt, machte er gleich weiter: viele einfache Ballverluste, keine Ruhe im Spielaufbau, keine Mittel gegen das intensive Spiel des FSV. Daran änderten auch die Wechsel in der Pause – Boateng und Marco Richter für Lucas Tousart und den erneut schwachen Deyovaisio Zeefuik – nichts.
Korkut sprach schon häufiger von neuen Eindrücken, die er gewonnen hatte. Bisher waren diese überwiegend positiv. Diesmal sagte der Trainer: „Wenn man sich die letzten zwei Spiele und heute anschaut, da waren große Unterschiede. Es geht drum, dass ich die neuen Eindrücke analysiere und die Mannschaft gut vorbereite auf das Wochenende.“
Und es geht darum, mit einem Erfolgserlebnis aus diesem für Hertha komplizierten Jahr herauszukommen. Bei einem erneuten Rückschlag sähe es nicht nur in der Tabelle wieder mau aus, auch die positiven Effekte des Trainerwechsels könnten endgültig verpuffen. Kevin-Prince Boateng fordert für Samstagabend „Einsatz, Wille und guten Fußball“. Wenn die Mannschaft ihr Spiel durchziehe, sei sie schwer zu schlagen: „Da kann kommen, wer will.“ Es kommt – der Tabellenzweite Borussia Dortmund.