Lachen und letzte Worte
Vor seinem ersten Konzert in der neuen Spielzeit hat sich das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin zu den Wurzeln seines Tuns begeben. Live-Musik darf kein Luxus sein, war die Botschaft der Musiker:innen, die ausschwärmten und spielten – auf Plätzen, vor sozialen Einrichtungen, sogar auf den Wasserwegen der Stadt. Chefdirigent Robin Ticciati gelang es beim Symphonic Mob, mit 250 Musikbegeisterten eine Shopping Mall in eine Klassikbühne zu verwandeln. Das ist beherzte Basisarbeit, die nicht davon ausgeht, dass sich die Philharmonie schon irgendwie füllen wird.
Auch beim Saisonauftakt im großen Scharoun-Saal, mit dem das DSO seine Jubiläumsspielzeit zum 75. Geburtstag einläutet, setzt das Orchester auf ganz unterschiedliche Reize statt monumentaler Klassikbrocken. Mit dabei sind zwei Komponisten, die eng mit der Geschichte des DSO verbunden sind: Igor Strawinsky, der weit über seinen Tod 1971 hinaus der meistgespielte Moderne im Repertoire bleibt, und Gustav Mahler, dessen unvollendete Zehnte das Orchester erstmals in Deutschland vorstellte.
Zeitgenössisches von Klaus Lang und Arvo Pärt
Doch davor schaltet die Programmdramaturgie gleich zwei Ouvertüren, um Ohren und Köpfe zu öffnen. Klaus Langs „Ionisches Licht“ spielte das DSO bereits in einer kleineren Besetzung bei einem Konzert ohne Publikum im November 2020. Nun hat der steirische Komponist eine Fassung für großes Orchester nachgelegt, die noch deutlicher macht, um was es ihm geht. Lang untersucht die innere Bewegung eines Klangs, dafür mischt und schichtet er Töne, die bald schwebende Doppelbilder erzeugen, bald schmerzhafte Reibungen. Nichts lässt sich festhalten, auch der rhythmische Puls ist nicht stabil.
Arvo Pärts Cellokonzert „Pro et contra“ treibt das Spiel mit der Verunsicherung weiter: Barocke Konzertfetzen treffen auf klopfende Materialerkundungen, zu denen DSO-Solocellist Valentin Radutiu mit staunendem Humor aufbricht. Alles ist Musik – und sie ist schneller vorbei, als man braucht, ihrer habhaft zu werden.
Das gilt besonders für die karge Totenmusik, die Strawinsky mit seinem „Requiem Canticles“ geschaffen hat. In seiner letzten großen Komposition gibt es keine füllenden oder verbindenden Phrasen mehr. Es ist eine Musik der elementaren Zeichen, für die auch der brillante Rundfunkchor aufzieht, um dann nur wenige Minuten zu singen. Wie schon bei Strawinskys „Canticum sacrum“ vor einer Woche beim Musikfest wäre eine Wiederholung des 15-Minüters ein unverhoffter Segen gewesen. Ohne sie erscheint der erste Satz von Mahlers Zehnter als leicht trügerischer Fixpunkt des Abends, den Ticciati mit spätromantischer Geste zelebriert. Dabei ist er ein Fragment, das mehr Fragen aufwirft, als es beantworten kann.