Droht bei Hertha BSC jetzt die Eskalation?
Der Auftritt endete mit einer sehr deutlichen und kaum misszuverstehenden Ansage. „Ihr reißt euch jetzt am Riemen, sonst zünden wir die nächste Stufe“, erklärte der Vorredner einer rund 80 Mann starken Abordnung aus der organisierten Fanszene von Hertha BSC – und damit war dann auch alles gesagt.
An einem vertiefenden Austausch mit den Spielern oder den Verantwortlichen des Berliner Fußball-Bundesligisten bestand auf Seiten der Ultras offenbar kein gesteigertes Interesse. Sie drehten sich um und verließen den Trainingsplatz so, wie sie kurz zuvor gekommen waren: mit grimmiger Ent- und in weitgehender Geschlossenheit.
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Der Vorfall hat sich am vergangenen Samstag ereignet, als sich die Profis von Hertha BSC auf ihr Heimspiel gegen den FC Bayern München vorbereiteten. Mitten hinein ins nicht-öffentliche Abschlusstraining kam eine rund 80-köpfige Gruppe aus der organisierten Fanszene die Rominter Allee hinauf, um die Mannschaft nach der frustrierenden Niederlage gegen den Lokalrivalen 1. FC Union zur Rede zu stellen.
Es gibt vereinzelte Fotos und Videos, die den Vorfall dokumentieren. Der eingangs zitierte Satz zum Beispiel ist deutlich zu hören.
So schnell, wie die Ultras an jenem Samstag vom Trainingsplatz verschwunden sind, lässt sich die Angelegenheit für Hertha BSC wohl nicht aus der Welt schaffen. Die Ereignisse könnten den Verein, der bereits sportlich mit einigen Problemen zu kämpfen hat, nun auch atmosphärisch noch eine Zeitlang beschäftigen. Am Donnerstag veröffentlichte Hertha eine offizielle Stellungnahme, die für die Zukunft nichts Gutes befürchten lassen, zumindest was das Verhältnis des Klubs zu seiner organisierten Fanszene betrifft.
Hertha will rechtliche Schritte prüfen
In dieser Stellungnahme verurteilt Hertha BSC, dass die Ultras „ohne Zustimmung und widerrechtlich den Trainingsplatz“ betreten und das Abschlusstraining gestört hätten. Außerdem kündigt der Verein an, mögliche rechtliche Schritte prüfen zu lassen. Im Raum steht der Vorwurf des Hausfriedensbruchs und der Nötigung.
Am Tag nach dem Vorfall, rund um das Spiel gegen die Bayern, hatten sowohl Herthas Trainer Tayfun Korkut als auch Sportdirektor Arne Friedrich Verständnis für den Ärger der Fans über die Derby-Niederlage geäußert. Zugleich aber hatten sie die Art kritisiert. „Wir können grundsätzlich den Unmut der Fans verstehen, die Art und Weise, wie sie es vorgetragen haben, nicht“, sagte Friedrich im Interview mit Dazn.
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Auch viele normale Fans haben die Aktion der Ultras nicht gutgeheißen, und im Verein selbst herrscht offenbar die Meinung vor, dass mit dem Auftritt auf dem Trainingsplatz eine Grenze überschritten worden sei und man daher nicht einfach ungerührt zum Alltag zurückkehren könne.
Laut Herthas offizieller Stellungnahme hatte der Klub den Ultras schon am Tag nach der Pokalniederlage gegen Union ein Gespräch angeboten – am Tag, an dem auf der Zufahrt zum Vereinsgelände ein Transparent mit der Aufschrift „Schande“ hing, das mit dem Kürzel der Ultragruppierung „Harlekins Berlin“ versehen war. Dieses Gespräch kam dann erst an diesem Mittwoch, also nach dem Vorfall auf dem Trainingsplatz, zustande.
Das Verhältnis war lange gestört
Für Hertha nahmen Geschäftsführer Ingo Schiller und Fredi Bobic an der Unterredung teil. Auch sie äußerten demnach ihr Verständnis für die Kritik nach dem Derby. Ebenso aber hätten die beiden Geschäftsführer klargemacht, dass sie für die Art und Weise des Vorgehens und den Vorfall an sich keinerlei Verständnis hätten: „Hierbei hat die entsprechende Gruppe in vielfältiger Weise Grenzen überschritten.“
Bobic und Schiller haben den Ultras daher erklärt, dass der Verein eine öffentliche Entschuldigung für ihr Vorgehen und den Vorfall erwarte. Die Fans haben dies abgelehnt. „Dies bedauern wir sehr“, teilt Hertha mit.
Dass die Ultras nicht öffentlich zu Kreuze kriechen würden, war abzusehen. Und wer sich ein wenig mit ihren Gepflogenheiten auskennt, ahnt, dass Herthas Ansinnen bei ihnen eher zusätzlichen Trotz hervorrufen dürfte. Die Ankündigung rechtlicher Schritte birgt sogar die Gefahr einer Eskalation. Schon in der Vergangenheit war das Verhältnis zwischen Vereinsführung und Fanszene nicht frei von Spannungen. Aber nachdem beide Seiten eine Zeitlang gar nicht mehr miteinander gesprochen hatte, war der Dialog zuletzt zumindest wieder in Gang gekommen.
Dass sich der neu entflammte Konflikt nun gerade im Abstiegskampf negativ auf die Stimmung im Stadion niederschlägt, ist immerhin erst einmal nicht zu befürchten. Aus Protest gegen die Coronamaßnahmen verweigern sich die Ultras ohnehin der Rückkehr ins Stadion. Ihre Plätze in der Ostkurve bleiben schon seit einiger Zeit leer.