Der Klang des Nordens: Das Bundesjugendorchester und sein Auftritt bei Young Euro Classic
Finnland, einerseits ins gleißende Licht des Mittsommers getaucht, andererseits in die Dunkelheit eines unendlichen Winters, fasziniert die Deutschen seit langem – und der oft verrätselte, selten klar an der Oberfläche schimmernde Charakter seines bekanntesten Komponisten Jean Sibelius schmiegt sich dem wunderbar an. Beim Festival Young Euro Classic hat das Bundesjugendorchester jetzt seine siebte und letzte Symphonie aufgeführt. Sibelius komponierte sie 1924, bevor er jahrzehntelang, bis zu seinem Tod, musikalisch verstummte.
Es ist, typisch für ihn, eine hermetische, sich nur hochkonzentriertem Hören öffnende Musik, ohne eingängige Themen und Motive als Wegmarken, mit wenigen, aufblitzenden Momenten von bestürzender Schönheit. Ein Klangmeer, in dem man sich verlieren kann – wäre da nicht dieses verblüffende Orchester, Stammgast bei Young Euro Classic, und Dirigent Clemens Schuldt.
Jünger geht es kaum: Mit 19 müssen diese Musiker und Musikerinnen schon wieder ihrer eigenen Wege gehen. Unerfahrenheit oder Unsicherheit sind ihnen trotzdem völlig fremd: Sehr füllig, süffig, sauber, mit wendigen Streichern und logisch nachvollziehbarer, über lange Bögen angelegter Dynamik zaubern sie eine beeindruckende Klangpracht und schaffen es mühelos, auch dieses beim ersten Hören spröde Werk interessant zu machen.
Sprung über die Ostsee: Der schwedische Komponist Daniel Nelson will mit seinem neuen Stück „The Ghost Machine Treatise“ (ungefähr: „Abhandlung über die Geistesmaschine“) den Erfinder Thomas Edison ehren, der ein Geistertelefon konstruiert hat. Während das Orchester die passende spukige Atmosphäre kreiert, schlüpft der litauische Solist Martynas Levickis mit seinem Akkordeon in verschiedene Rollen, tanz im Vordergrund, wiederholt immer wieder eine Folge von fünf Tönen, die das Orchester übernimmt, würzt das Tutti mit seinen Einwürfen, kommuniziert mit dem Schlagwerk, wirft sich während einer Kadenz in rasend schnelle Skalen.
Schade aber, dass zeitgenössische Musik so oft ein außermusikalisches „Programm“ illustrieren will, nicht aus sich selbst heraus konstruiert ist. Levickis lange Zugabe, eine mitreißende, von ihm selbst arrangierte Version eines Volksliedes mit dem Titel „The Dawn Is Breaking“ für Akkordeon solo, ist da fast interessanter als das Hauptstück, voller Minimal Music, die in elegische, melodische Linien mündet.
Nach einem weiteren Finnen, Esa-Pekka Salonen mit dem immerhin programm-freien, nur der eigenen Form folgenden „Helix“ von 2005, wird Richard Strauss‘ symphonische Dichtung „Don Juan“ dann der erwartete Knaller zum Schluss, mal sehnig, mal sämig, mit immer wieder neuen ekstatischen Anläufen. Das Orchester spielt in Bestform. Und Berlin kann dankbar sein, so ein Festival zu haben, das immer wieder Populäres mit ganz Neuem verwebt, sich aber nie im Glanz einer Uraufführung ausruht, sondern auch moderne Stücke wie „Helix“, die schon ein paar Jahre auf dem Buckel haben, zurück ins öffentliche Bewusstsein holt.