David Chipperfield zum 70. Geburtstag: Architekt der Demut
Als David Chipperfield im Frühjahr den Pritzker-Preis verliehen bekam, der als Nobelpreis der Architektur gilt, war die Verblüffung zunächst groß. Sollte die mit 100.000 US-Dollar dotierte Auszeichnung schon wieder ein alter weißer Mann erhalten, nachdem sich die Jury der Hyatt-Stiftung in den letzten Jahren endlich auch zu den Frauen, den Jüngeren und Vertretern des Globalen Südens vorgearbeitet hatte?
Die rhetorische Frage ließ sich leicht mit dem Zusatz „Aus gutem Grund“ beantworten, denn der Brite baut zeitlos, ökologisch, sich in die vorgefundenen Verhältnisse schmiegend. Er verkörpert damit das Bild des Vordenkers einer neuen nachhaltigen Architektur, die zugleich höchste Ansprüche ans Ästhetische erfüllt.
Von seinem Gespür für Museen hat in den letzten Jahren vor allem Berlin profitiert. Hier lässt sich seine größte Besonderheit, gerade keine zu haben, hervorragend studieren. Geschult an der klassischen Moderne, geprägt von der zeitgenössischen japanischen Architektur macht er minimalistische Setzungen, die mit dem Bestehenden eine innige Beziehung eingehen.
Die Sanierung des Neuen Museums, der jahrzehntelangen Ruine auf der Museumsinsel, erwies sich für beide Seiten als Glücksfall: Durch Chipperfield gewann das Weltkulturerbe sein Kernstück formvollendet wieder zurück. Seine kritische Rekonstruktion verbeugt sich vor Stüler und der Historie und demonstriert trotzdem Zeitgenossenschaft. Der Architekt stellte ganze Räume wieder her, zeigt an den Übergängen zum neuen Flügel fast zärtlich die verbliebenen Wunden des Krieges und setzte beherzt eine Betontreppe ins Zentrum als frischen Zugang.
Dieses Meisterstück empfahl ihn in Berlin für zweierlei gleich weiter: den Neubau der James Simon-Galerie und die Sanierung der Neuen Nationalgalerie. Das zentrale Verteilungsgebäude der Museumsinsel baute er mit selbstbewusster Geste als schlanken, hohen Riegel direkt am Kupfergraben. Die gravitätische Säulenreihe am Wasser reiht ihn klassisch in die Riege der benachbarten Museen ein.
Die Neue Nationalgalerie richtete er bis zur Selbstverleugnung wieder her, sodass nur hier und dort an der Garderobe oder dem umgenutzten Depot seine Handschrift sichtbar wurde. Heute erscheint der Mies van der Rohe-Bau strahlender denn je als Ikone der Moderne, in die auch der Name David Chipperfields eingeschrieben ist.
Mit Berlin und der in Deutschland ausgeprägten Neigung, in der Stadtplanung alles mitzudiskutieren, musste der von Queen Elizabeth II. zum Ritter geadelte Architekt erst einmal ringen. Heute schätzt er vor allem diese Eigenschaft im Vergleich zur angelsächsischen Baukultur, wo Investoren das Gesicht der Städte prägen. Das Literatur-Museum in Marbach und das Essener Folkwang-Museum sind weitere distinguiert funktionale Kulturbauten von ihm, ähnlich wie die Erweiterung für das Kunsthaus in Zürich.
Auf dem freien Markt gibt der Architekt dennoch dem Wunsch nach Sichtbarkeit nach. Zwar ruhen gerade die Umbauplanungen für Karstadt am Hermannplatz und die Bauarbeiten beim „Elbtower“ in Hamburg, die zur angeschlagenen Signa-Gruppe gehören. Aber sollte der sich wie ein Segel über den Elbbrücken erhebende Riesenbau mit 65 Stockwerken und einer Höhe von 245 Metern in der Hansestadt einmal vollendet sein, so wäre er das drittgrößte Gebäude Deutschlands.
Längst lebt David Chipperfield die Hälfte des Jahres in Galicien, wo er an der nordspanischen Atlantikküste eine Stiftung gegründet und dort über die nachhaltige Entwicklung der Region sowie globale Herausforderungen nachdenken lässt. Hier dürfte er auch seinen 70. Geburtstag am heutigen Montag feiern.