Schweigen ist Blech
Es kam, wie es kommen musste. In München hatte kaum jemand erwartet, dass Valery Gergiev der Aufforderung des Oberbürgermeisters Dieter Reiter Folge leisten würde. Dieser hatte von dem Chefdirigent der dortigen Philharmoniker verlangt, sich bis zum Montag „eindeutig und unmissverständlich von dem brutalen Angriffskrieg zu distanzieren, den Putin gegen die Ukraine und nun insbesondere auch gegen unsere Partnerstadt Kiew führt“.
Am Dienstagvormittag teilte Reiter dann mit, dass sich München von Gergiev trennt und es dort „ab sofort keine weiteren Konzerte“ unter seiner Leitung geben werde. Das ist eine fristlose Kündigung, ein sofortiger Rauswurf.
2015 hatten die finanziell von der Stadt München getragenen Münchner Philharmoniker den russischen Stardirigenten und erklärten Freund des Präsidenten Wladimir Putin als Chefdirigenten engagiert. Derzeit wird ihr Stammhaus am Gasteig saniert, als Interimsquartier wurde die mittlerweile viel gelobte „Isarphilharmonie“ im Stadtteil Sendling errichtet. Dort hat Stefan Mayerhofer letztmals ein von dem Maestro dirigiertes Konzert gehört.
Der Freundeskreis des Orchesters steht hinter der Entscheidung
Mayerhofer ist Vorsitzender des Vereins „Freunde und Förderer der Münchner Philharmoniker“. Es war Freitag, der 8. Oktober 2021, das Eröffnungskonzert in der neuen Spielstätte. Beethoven und Ravel standen auf dem Programm, sowie die Uraufführung eines Werkes des französischen Komponisten Thierry Escaich. „Es war ganz toll, wunderbare Musik“, erinnert sich Mayerhofer.
Doch nun ist es vorbei mit dem 68 Jahre alten Valery Gergiev. „Das schmerzt sehr“, meint der Vereinsvorsitzende. „Ich fand Gergiev immer sehr nett, sehr warmherzig, sehr offen. Wir hatten eine gute Beziehung, es gab sehr schöne Momente.“
Dennoch stehen die Philharmonie-Freunde eindeutig hinter dem Kurs der Stadt. „Putin führt einen Angriffskrieg gegen ein souveränes, europäisches Land“, sagt Stefan Mayerhofer, „da muss man klar Farbe bekennen.“ Und er fügt hinzu: „Der Fall zeigt auch, wie zerbrechlich alles ist.“
Würde er auftreten, wären Proteste zu erwarten
Valery Gergiev wird also in München nicht mehr zum Taktstock greifen, auch wenn mit seinem Namen derzeit etwa noch „Klassik am Odeonsplatz“ beworben wird. Dort sollte er Tschaikowsky und Dvoraks Sinfonie „Aus der Neuen Welt“ dirigieren.
Sämtle Engagements in der westlichen Welt schmelzen dem Maestro in diesen Tagen dahin. Die Wiener Philharmoniker haben ihm Konzerte in New York abgesagt, die Mailänder Scala hat sich von ihm getrennt, ebenso wie das Lucerne Festival in der Schweiz. Jeder Auftritt Gergievs wäre allerdings zweifellos überall auf große Protesten gestoßen.
Auch das Festspielhaus Baden-Baden stellt die Zusammenarbeit mit dem Chef des Mariinsky-Theaters „bis auf Weiteres“ ein. „Es schmerzt uns sehr, dies mitteilen zu müssen“, schreibt Intendant Benedikt Stampa. Denn in den vergangenen 24 Jahre lang waren Gergiev und sein St. Petersburger Ensemble gefeierte Dauergäste in Baden-Baden, mit Opernproduktionen wie auch mit Konzerten.
Immer wieder hat Gergiev provoziert
Nachdem sich seine Münchner Agentur Felsner Artists bereits am Wochenende von ihm getrennt hatte, vor dem Auslaufen des Münchner Ultimatums, hat der Dirigent nun ohnehin niemanden mehr, der sich um seine Aktivitäten in der westlichen Welt kümmert.
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt aber auch, dass München nicht erst seit der neuesten Entwicklung mit Valery Gergiev einiges hatte aushalten müssen. So war es schon 2013 bei einem Gastauftritt des Dirigenten zu Protesten vor dem Gasteig gekommen, nachdem Gergiev ein Anti-Schwulen-Gesetz Putins unterstützt hatte. Hinterher sagte der Dirigent, er habe dessen Inhalt nicht gekannt und für ihn gelte null Toleranz bei Ausgrenzung und Diskriminierung.
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Der Start als Chefdirigent bei den Philharmonikern 2015 war dann ebenfalls in Gefahr, weil Gergiev mit anderen russischen Künstlern 2014 einen offenen Brief unterzeichnet hatte, der die Besetzung der Krim durch Russland befürwortete. Von „gemeinsamen Wurzeln und Grundwerten“ war darin die Rede gewesen. Mit einem weiteren Brief in eigener Sache konnte sich Gergiev aus der Affäre ziehen: „Der Dialog darf nicht abreißen, niemals!“, hieß es darin.
Wie geht es nun weiter? Valery Gergiev hat in München einen Vertrag, dessen Laufzeit bis zum Ende der Spielzeit 2024/25 geht, also noch mehr als drei Jahre. Die Höhe seines Gehaltes ist strengstes Geheimnis, auch wenn es aus Steuergeldern aufgebracht wird. Beobachter schätzen, dass er jährlich rund eine Million Euro aus München erhält. Lässt sich dieser Vertrag vorzeitig beenden? Dazu schweigen die Stadtspitze und das Kulturreferat. Für sehr denkbar wird allerdings gehalten, dass man den Dirigenten bis 2025 ausbezahlen muss.
Unterdessen hat die russische Sopranistin Anna Netrebko zunächst zwei Auftritte an der Oper Zürich abgesagt – und inzwischen sämtliche Engagements in der nächsten Zeit. Ende März sollte sie in Zürich die Rolle der Lady Macbeth in Verdis Shakespeare-Oper übernehmen. Sie habe sich entschlossen, eine Auftrittspause einzulegen, schrieb Netrebko. Mit Blick auf das Statement der Sängerin zur Ukraine erklärte die Oper: „Wir halten es grundsätzlich nicht für angemessen, aus der Perspektive einer westeuropäischen Demokratie, die Entscheidungen und Handlungen von Bürgerinnen und Bürgern repressiver Regime zu beurteilen“. Netrebkos Position zu Putin sei jedoch nicht „kompatibel“ mit der Haltung der Bühne.
Die Starsopranistin hatte nach Kriegsbeginn vergangene Woche auf Instagram geschrieben, sie liebe ihr Land, aber das Leid der Ukrainer breche ihr das Herz. Am Dienstag teilte sie dann mit, dass sie in den kommenden Monaten nirgends auftreten werde. “Nach reiflicher Überlegung habe ich die äußerst schwierige Entscheidung getroffen, mich bis auf Weiteres aus dem Konzertleben zurückzuziehen“, gab die Operndiva über den Veranstalter River Concerts bekannt. Es sei nicht die richtige Zeit für sie aufzutreten und zu musizieren, so Netrebko, sie hoffe auf Verständnis bei ihrem Publikum. Das für den 2. März in der Hamburger Elbphilharmonie geplante Konzert mit ihrem Ehemann Yusif Eyvazov wird auf den 7. September verschoben. (mit dpa)