Verkehrskultur: Fußgänger vor!
Vor nunmehr 70 Jahren begann in dänischen und niederländischen Städten, auch einigen des deutschen Westfalen, ein Experiment: die Abkehr von der automobilen Stadt und die Hinwendung zum Fahrradverkehr. Gerade in Kopenhagen kann man wunderbar breite Fahrradwege erleben, die hierzulande Minimalstreifen mit Baumwurzelgehoppel gewohnten Radlern geradezu paradiesisch erscheinen müssen.
Das phänomenale Christiania-Dreirad-Fahrrad wurde zum rollenden Symbol dieser Neuorientierung. Ein grandios leicht zu steuernder Lastenträger, der nicht nur Kinder und Einkäufe, sondern auch Waschmaschinen plus darübergeklemmten Tisch, Stuhl und sonstigen Umzug transportiert – noch in diesen Tagen.
Verbunden ist dieses „Weg vom Auto“ eng mit dem Namen des 1932 geborenen dänischen Stadtplaners Jan Gehl – mögen ihm noch viele Jahre gegeben sein. Sein Buch „Städte für Menschen“ (auf Deutsch im Jovis-Verlag) möchte man allen auf den automobilen Individualverkehr fixierten Politikern, Stadtplanern, Wirtschaftsleuten und Bürgern schenken. Es zeigt, wie viel Platz in einer Stadt für das Spielen und das Zusammensein zu gewinnen ist, wenn wir uns von der Autofixiertheit unserer Planungen und Debatten lösen. Und es zeigt, dass selbst in flächenmäßig weit ausgedehnten Städten wie Kopenhagen das Auto – wenn denn der ÖPNV angemessen ausgebaut ist! – keine Notwendigkeit, sondern eine Machtanmaßung darstellt: Wer darf mehr Platz beanspruchen – und wer nicht?
Dass ein Garagenplatz im Kauf pro Quadratmeter etwa in Hamburg oder Berlin mehr kostet als ein Kinderspielzimmer, ist eben kein Zufall, sondern Folge einer grundsätzlich verfehlten Politik, die stehendes Blech wichtiger findet als tobende Gören.
Kopenhagen zeigt aber auch, wie widerstandsstark diese Autofahrer-Politik ist. Selbst der Körper dieser grünen Kapitale ist noch zerfurcht von breiten Autoschneisen. Sie wurden allenfalls eingegrenzt – und damit eine neue, über Platzzuteilung vermittelte Machtstruktur etabliert: Die Fußgängersteige dort sind nämlich oft bemerkenswert schmal. Nun sind es die relativ Jungen und Radelfrischen, die sich hier ihren Raum nehmen und ihrerseits Kinder, Alte, Fußgänger diskriminieren. Lest nach bei Jan Gehl: So entsteht keine Stadt für Menschen, nur eine für den Verkehr.
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