Zum Tod von Mario Vargas Llosa: Der unfreiwillige Dinosaurier
Vor bald 60 Jahren, in seiner Dankesrede zum venezolanischen Rómulo-Gallegos-Preis, erklärte er sich noch zu einem „sozialen Störenfried“. Mario Vargas Llosa wollte alle Gesellschaften, die ihre ungeliebten oder gar ins Exil getriebenen Schriftsteller nunmehr umarmen wollten, daran erinnern, „dass Literatur Feuer ist, dass sie Abweichung und Rebellion bedeutet.“ Mit literarischem Schreiben verbinde sich zwangsläufig „ein Strom von Attacken, Ironie und Satire“, der von der „Spitze bis zum Fundament der sozialen Pyramide“ reiche.
Jorge Semprún, der diese Worte 1996 in seiner Paulskirchen-Laudatio auf den Friedenspreisträger Vargas Llosa zum ungebrochenen Antrieb seines 1936 im peruanischen Arequipa geborenen Kollegen erklärte, erlebte dann aber einen erstaunlich skeptisch gewordenen Schriftsteller, der sich mit seinen prägenden Lektüren, Tolstois „Krieg und Frieden“, Dostojewskis, Kafkas und Prousts Romanwelten, für einen „Dinosaurier in schwierigen Zeiten“ hielt.
Hatte er sein Feuer verloren?
Noch einmal drei Jahrzehnte später, angesichts eines epidemischen Vertrauensverlusts in die Möglichkeiten von Literatur und die Entwertung durch andere Medien, könnte man die Rolle, die Vargas Llosa zuletzt einnahm, fast als diejenige beschreiben, die er 1967 in Caracas noch geißelte. War nicht auch er ein „harmloser Narr“ geworden? Man würde es sich zu einfach machen, darin vor allem die persönliche Ermattung eines brillanten Kopfes zu sehen, der auf dem Weg zum Großschriftsteller sein Feuer verlor.
Die Dutzende von Ehrendoktoraten, darunter eines der Berliner Humboldt-Universität, die Vortragsreisen, schließlich der Literaturnobelpreis 2010 – sie schmeichelten ihm sichtlich. Dass er überdies politischen Ambitionen folgte, die ihn 2011 um ein Haar, nämlich eine verlorene Stichwahl, ins Amt des peruanischen Präsidenten gebracht hätte, entsprach durchaus einer staatsmännischen Haltung, die er sich angeeignet hatte. Die Sympathien, die er zuletzt für Rechtspopulisten wie den Brasilianer Jair Bolsonaro oder den Argentinier Javier Milei bekundete, fallen aber wohl unter eine Form von Altersstarrsinn.
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© dpa/Manuel H De Leon
Führende Stimme des lateinamerikanischen Romans
Doch welche literarischen und politischen Wechselfälle hat er erlebt. In Caracas wurde er seinerzeit für seinen zweiten Roman „Das grüne Haus“ ausgezeichnet: ein multiperspektivisches Werk, dem das titelgebende Bordell nur einen Handlungsstrang liefert. Vargas Llosa trat damit als führende Stimme eines lateinamerikanischen Romans hervor, der damals zahlreiche Meisterwerke einer formsprengenden Hochmoderne hervorbrachte. Die Jahre der ästhetischen Emanzipation gingen einher mit Hoffnungen auf den Abschied von autoritären Strukturen. Fidel Castros revolutionäres Kuba lag noch nicht in Trümmern.
Welterfolg errang der ungewöhnlich produktive Universalschriftsteller mit Romanen wie dem 2011 von Thomas Brovot 2011 neu übersetzten „Tante Julia und der Kunstschreiber“. Was hier ein auktorialer Erzähler, hinter dem Vargas Llosas eigene Lebensgeschichte steckt, mit Schmiss und Komik von seiner Liebe zu einer 14 Jahre älteren Frau erzählt, zeugt von virtuosem Könnertum, aber auch großem Desinteresse, den Roman über seine realistischen Grenzen hinauszutreiben.
Der Roman, von dem er zurecht glaubte, es werde sein letzter bleiben, „Die große Versuchung“, ein peruanisches Geschichtspanorama rund um den fiktiven Gitarristen Lalo Molfino, führt das im Guten wie im Schlechten noch einmal vor. Am Sonntag ist er mit 89 Jahren in Lima gestorben.