Die Fußball-Nationalmannschaft nach dem Trainerwechsel: Neuer Schwung und alte Probleme
Es schmerzt immer noch. Auch nach mehr als fünf Jahren. Thomas Müller reagierte jedenfalls erstaunlich schmallippig, als er dieser Tage in den USA, vor dem Länderspiel gegen Mexikos Fußball-Nationalmannschaft, auf seine letzte Begegnung mit den Mittelamerikanern angesprochen wurde.
Bei der WM 2018 in Russland war das, als die Deutschen und Müller amtierender Weltmeister waren und in ihrem ersten Gruppenspiel eine 0:1-Niederlage gegen Mexiko kassierten. „Das war der Auftakt der Periode, auf die wir sehr negativ zurückschauen“, antwortete Müller.
Denn der Niederlage gegen Mexiko folgten: ein frühes Aus bei der WM 2018, ein frühes Aus bei der EM 2021, ein frühes Aus bei der WM 2022 und zwei Wechsel auf der Trainerposition. Bei der USA-Reise der Nationalmannschaft und dem Wiedersehen mit den Mexikanern am Dienstagabend (Ortszeit) in Philadelphia saß daher Julian Nagelsmann auf der Trainerbank.
Mit ihm soll für die Nationalmannschaft nun endlich eine neue, positive Periode beginnen. Und die ersten Eindrücke machen zumindest Mut, dass nach Jahren des Stillstands etwas in Bewegung gerät. Vielleicht gerade noch rechtzeitig vor der Europameisterschaft im eigenen Land, die im kommenden Sommer ansteht.
Von der USA-Reise jedenfalls nimmt Nagelsmann nach eigener Aussage „ein sehr, sehr gutes Gefühl“ mit in die Heimat – selbst wenn dem 3:1 gegen die USA bei seinem Debüt als Bundestrainer nur ein 2:2-Unentschieden gegen Mexiko folgte. „Natürlich geht die Kurve nicht immer stetig nach oben“, sagte Kapitän Ilkay Gündogan.
Den Startrekord seines unmittelbaren Vorgängers Hansi Flick als Bundestrainer (acht Siege aus den ersten acht Spielen) kann Nagelsmann nicht mehr übertreffen. Aber wenn man sich Flicks weiteren Werdegang ansieht, lässt sich das vermutlich verschmerzen.
Ich habe noch keine Mannschaft trainiert, die innerhalb einer Woche so viele Dinge umsetzt. Ich war schwer begeistert.
Bundestrainer Julian Nagelsmann
Auch bei Flick waren die anfänglichen Urteile überaus positiv ausgefallen – so wie jetzt bei seinem Nachfolger. Nagelsmann sei „ein Glücksfall“, sagte DFB-Sportdirektor Rudi Völler. Der neue Schwung war während der Tage in Übersee tatsächlich nicht zu übersehen. Alles andere wäre nach einem Trainerwechsel aber auch komisch und ist daher fürs Erste nicht überzubewerten. „Diese Analysen, dass jetzt alles super ist, davon halt ich gar nichts“, sagte Thomas Müller.
Aber man sieht zumindest, was Nagelsmann will. Ihm geht es im Ballbesitz um Kontrolle und einen gepflegten Aufbau. Und bei der Ballrückeroberung um Aggressivität und eine hohe Intensität. „Giftig und schnellfrequent im Attackieren“, so nennt Nagelsmann das.
1,6
Gegentore hat die DFB-Elf in den letzten 20 Spielen im Schnitt kassiert
Gegen die USA funktionierte das besser als gegen Mexiko, was aber auch mit der Qualität des jeweiligen Gegners zusammenhängen könnte. In Philadelphia fand der Bundestrainer seine Mannschaft „nicht ganz so stabil im eigenen Ballbesitz“. So gerieten die Deutschen nach dem Führungstor durch Antonio Rüdiger (25. Minute) unmittelbar nach der Pause 1:2 in Rückstand, ehe der eingewechselte Niclas Füllkrug mit seinem neunten Tor im elften Länderspiel zum 2:2-Endstand abstaubte (51.).
Die Bestellung Nagelsmanns zum Bundestrainer war bei aller Begeisterung innerhalb des DFB auch mit einer gewissen Skepsis aufgenommen worden. Ist der Neue mit 36 Jahren nicht viel zu jung für dieses hohe Staatsamt? Und kann er seine Ideen auch verwirklichen, wenn er sie nicht jeden Tag mit den Spielern auf dem Trainingsplatz einüben kann?
Offenbar ja. „Ich habe noch keine Mannschaft trainiert, die innerhalb einer Woche so viele Dinge umsetzt“, sagte Nagelsmann. „Ich war schwer begeistert. Deswegen mache ich mir absolut keine Sorgen.“
Neben neuem Schwung waren aber auch weiterhin altbekannte Probleme zu erkennen. Und die betreffen vor allem die Defensive. Im achten Länderspiel nacheinander schaffte es die Nationalmannschaft nicht, zu null zu spielen. In den vergangenen zwanzig Begegnungen ist ihr das exakt zweimal gelungen: gegen den Oman und gegen Peru. Im Schnitt kassierte das Team dabei 1,6 Tore pro Spiel.
Probleme in der Außenverteidigung
„Offensiv funktioniert das alles schon sehr gut, defensiv gibt es ein paar Dinge, die wir anpassen müssen“, sagte Nagelsmann. „Aber es ist schwer, in einer Woche alles perfekt einzuüben.“
Vor allem auf den beiden Außenverteidigerpositionen sieht es weiterhin dünn aus. Für die rechte Seite fand sich kein einziger Spezialist im Kader. Gegen Mexiko durften sich dort Niklas Süle und Malick Thiaw, zwei wuchtige Innenverteidiger, versuchen. Links wiederum stehen dem Bundestrainer mit Robin Gosens und David Raum zwei Kandidaten zur Verfügung, die ihre Stärken eher als Schienenspieler vor einer Dreierkette haben.
Beide Tore der Mexikaner wurden über die Seite eingeleitet. Beim 1:1 durch Uriel Antuna (37.) ließ sich Süle auf rechts übertölpeln; beim 2:1 durch Erick Sanchez (47.) ließ Gosens dem Flankengeber zu viel Platz.
Angesichts des strukturellen Mangels an guten Außenverteidigern könnte demnächst wieder die Debatte aufflammen, ob die Stelle hinten rechts nicht mit Joshua Kimmich besetzt werden sollte, obwohl der sich als Taktgeber in der Zentrale sieht. In den USA musste Kimmich wegen eines Infekts kurzfristig passen, weshalb Pascal Groß, der letzte Debütant der Ära Flick, sich erneut im defensiven Mittelfeld versuchen durfte.
Der 32-Jährige von Brighton & Hove Albion war an der Seite von Kapitän Gündogan einer der Gewinner der vergangenen Tage. „Pascal Groß ist ein herausragend guter Spieler“, sagte Julian Nagelsmann. Auch für diese Erkenntnis dürfte sich die Reise in die USA schon gelohnt haben.