„Ein Glücksfall“ im Kino: Woody Allen blutleer in Paris
Es ist wohl bezeichnend für den derzeitigen Stand von Woody Allens Karriere, dass die Veröffentlichung seines 50. Spielfilms in weiten Teilen der Kritik nur noch unter dem Aspekt der Chronistenpflicht Beachtung findet.
Dazu passt, dass der 88-jährige Regisseur erst vor wenigen Tagen in einem Interview erklärte, sein aktueller Film „Der Glücksfall“ könnte durchaus sein letzter sein. Er habe schlicht das „Feuer“ („romance“) fürs Filmemachen verloren, außerdem sei der Vertrieb von Kinofilmen immer schwieriger geworden.
Ein Teil der Wahrheit ist natürlich auch, dass Allens Filme seit dem Wiederaufkommen der Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs seiner damals siebenjährigen Tochter Dylan in Amerika überhaupt nicht mehr den regulären Weg in die Kinos gefunden haben. 2019 zog Amazon Studio „A Rainy Day in New York“ wieder zurück, inzwischen gilt er in der US-Branche als Persona non grata.
Namhafte Hollywoodstars distanzieren sich von ihm. Die erkalteten Leidenschaften beruhen also auf Gegenseitigkeit, was übrigens auch einiges mit der Qualität des Spätwerks zu tun hat.
Über einen Mangel an Aufmerksamkeit darf sich Woody Allen dennoch nicht beschweren. Sein Film „Ein Glücksfall“ lief im vergangenen Sommer in Venedig, wo man sich immer noch im Verteidigungsmodus der in Ungnade gefallenen Alten Meister befindet; hier lief auch Roman Polanskis Superreichen-Klamotte „The Palace“.
Wenn man Allen aber eines zugutehalten möchte, dann immerhin, dass sich seine Verbitterung, im Gegensatz zu Polanskis, nicht in Form von Publikumsbeleidigungen – beziehungsweise von Beleidigungen der Intelligenz seiner hartnäckigsten Fans – äußert.
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„Ein Glücksfall“ wurde von der amerikanischen Kritik anstandslos durchgewunken; vielleicht auch ein Indiz, dass die Beschäftigung mit der Reizfigur Woody Allen schon wieder in eine Phase der Normalisierung eintritt. Gerade veröffentlichte das „Zeit Magazin“ ein launiges Interview von Oliver Polak mit Allen – jüdische Humoristen unter sich.
Für „Ein Glücksfall“ (der französische Titel „Coup de Chance“ meint eher eine Glückssträhne) hat Allen immerhin einige der besseren alten Ideen entstaubt, die „Verbrechen und andere Kleinigkeiten“ (1989) und „Match Point“ (2005) zu seinen bis heute bösesten Filmen machten – allerdings immer auch hart am Rande der Morallosigkeit. Den Part des Allen-Alter-Egos übernimmt diesmal der Kanadier Niels Schneider.
Allens zweite europäische Phase
Sein mittelloser Literat Alain trifft auf den Pariser Straßen zufällig seine heimliche Jugendliebe Fanny (Lou de Laâge) wieder, die er mit einer übergriffigen Verve umgarnt, wie es wohl nur Woody Allen romantisch finden kann.
Dummerweise ist Fanny mehr oder weniger glücklich mit dem dubiosen Investmentberater Jean (Melvil Poupaud) verheiratet, der mindestens eine Leiche im Keller hat – und seine junge Frau wie eine Trophäe auf den Partys der High Society präsentiert.
Was wie eine eher unwahrscheinliche Liebesgeschichte beginnt, nimmt bald jedoch eine Wendung in Richtung Kriminalfilm – welcher sich allerdings weniger für die Aufklärung eines Verbrechens interessiert als für die Verdunklung der Conditio humana.
Als Alain auf ähnlich dubiose Weise wie Jeans ehemaliger Geschäftspartner verschwindet, ruft dies Fannys Mutter Camille (Valérie Lemercier) auf den Plan, die zwar einen Narren am Haifisch-Charme ihres Schwiegersohns gefressen hat, aber trotzdem eigene Ermittlungen anstellt.
Dass Allens Leidenschaft für das Filmemachen erloschen ist, merkt man schon daran, wie mechanisch er diesen Plot durcherzählt. Im Gegensatz zu seiner ersten „europäischen Phase“ Mitte der 2000er-Jahre zeigt er in „Ein Glücksfall“ kein Interesse mehr an Lokalkolorit.
Die Paris-Bilder von Kameramann Vittorio Storaro sind flach und fernsehtauglich ausgeleuchtet, die Einblicke in die Gepflogenheiten der Pariser Oberschicht, die ihre Wochenenden mit Jagdausflügen verbringt, lassen Allens scharfe Beobachtungsgabe vermissen. Und alle Überlegungen über die unvorhersehbaren Wege des Schicksals, die die Figuren anstellen, bleiben eine merkwürdige Behauptung in einem Film, dessen Geschichte dermaßen konstruiert ist.
Allerdings spielen Melvil Poupaud und Lou de Laâge, vielleicht auch befreit vom prüfenden Blick der Filmkritik, die mit Milde auf die jüngsten Arbeiten Allens blickte, mit einer enthemmten Leichtigkeit ihre sehr unterschiedlichen Rollen. Er: immer am Rande der Karikatur – etwa wenn Jean stolz vor seiner Modelleisenbahn steht.
Sie: mit unverstellter Naivität, als sie sich blauäugig in eine Romanze stürzt, die in einem Film von Woody Allen natürlich nur auf ein Unhappy-end hinauslaufen kann. Es wäre eine Allen-würdige Ironie, wenn dieses Werk mit einer Leiche in einem Wald bei Paris, weitab seines natürlichen Habitats New York, endet.