Kiffen war gestern bei den Skateboardern
Es scheint alles so wie früher. Wie vor 25 oder 30 Jahren, als die coolen Jungs der Schule, rauchend oder kiffend, auf den spärlichen ersten Skateparks in den deutschen Städten herumlungerten. Das Skateboard war immer dabei, auch wenn es selten fortbewegt wurde. Darauf ist es auch nie angekommen. Diese Jungs, sie gibt es natürlich immer noch.
Es ist ein schöner Julimorgen in Berlin-Neukölln. Die Sonne brennt schon herunter, die Vögel zwitschern. Die Idylle wäre perfekt, würde man nicht schon weitem dieses laute Scheppern hören. Max und Andreas, beide Mitte 20, stehen mit freiem Oberkörper und Oberlippenbärtchen am Skatepark in der Weichselstraße und würdigen den einzigen fahrenden Skateboarder kaum eines Blickes. Die beiden unterhalten sich, rauchen eine Zigarette und blinzeln in die Sonne.
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Thema sind die Olympischen Spiele. Zum ersten Mal in der langen Geschichte der Bewegung steht Skateboard auf dem Programm. Am Sonntag geht es mit den Wettbewerben los. Ausgerechnet Olympia. Als Sportart haben die Protagonisten ihr Hobby lange, lange Zeit nicht gesehen. Der Sport, vielmehr die Kunst, mit dem Brett fürwahr waghalsige Manöver aufzuführen, war allenfalls Beiwerk. Beim Skateboarden ist es vielmehr darum gegangen, gerade keinen Sport zu machen.
„Es geht für mich auch darum, dass alles cool aussieht, um den Style, auch darum, im Park abzuhängen und Leute zu treffen“, sagt Andreas und bläst den Rauch aus seinen Lungen in den Neuköllner Himmel. Tokio ist wahnsinnig weit weg. Geographisch, aber auch im Kopf vieler Skateboarder. „Olympia betrifft mich nicht, aber es stört mich auch nicht“, sagt sein Kumpel Max. „Ich mache mein Ding.“
Sich nicht groß um die anderen scheren, frei sein von Konventionen und Regeln. Auch dies steckt in der DNA des Skateboardens. Deswegen taten und tun sich immer noch einige so schwer damit, wenn das Skateboarden wie bei Olympia in ein Wettbewerbsformat gepresst wird. Dabei sind Skatecontests nichts Neues. Seit Jahrzehnten werden sie ausgetragen, werden die sportlichen Leistungen quantifiziert, gibt es Preisgelder und mitunter große Sponsorenverträge für die Besten der Szene.
Nyjah Huston, der in diesen Tagen für die USA antreten wird, soll in seiner Karriere bereits mehr als zwölf Millionen Dollar verdient haben. Doch das meiste dürfte noch dazukommen. Hustons Popularität wird immer größer. Der 26-Jährige hat 4,7 Millionen Follower auf Instagram, und Olympia wird die Nachfrage nach ihm und anderen spannenden Sportlerinnen und Sportlern erhöhen.
Ingo Helmich ist angehender Professor an der Deutschen Sporthochschule in Köln. Sein Fachgebiet ist die Sportmotorik, sein Hobby das Skateboarden. Wenn der 44 Jahre alte Familienvater Zeit findet, schnappt er sich immer noch sein Skateboard und trifft sich mit Freunden. Helmich hat über die vielen Jahre den Wandel im Skateboarden aufmerksam verfolgt. Die Skepsis an Olympia rühre auch daher, erklärt er, dass die Skater für eine Flagge, ein Land starten würden und nicht wie bei den Contests für eine Marke. „Dieser nationale Charakter im Skateboarden ist ziemlich uncool in der Szene“, sagt Helmich.
Überhaupt, die Coolness. Sie speist sich nicht unbedingt daraus, ob jemand die höchsten Rampen hinunterbraust oder die spektakulärsten Sprünge macht. Die dicksten Verträge bekommen immer noch jene, die die besten Clips in der Straße filmen. Das Setting muss stimmen, die Drehorte, die Kameraeinstellungen und die Kreativität der Skateboarder. Wer die besten Videos macht, bekommt die meiste sogenannte Street Credibility. In Deutschland sind das nicht die Olympiateilnehmer Lilly Stoephasius oder Tyler Edtmayer, sondern der Berliner Danny Pham. Insofern: Wer cool und geschätzt sein will unter den Skateboardern, der nimmt eher nicht an den Spielen in Tokio teil.
Doch gerade die jüngeren Skaterinnen und Skater können sich mit dem olympischen Wettbewerb durchaus anfreunden. Die beiden Neuköllner Max und Andreas finden unisono, dass Olympia durchaus Vorteile hat. „Dadurch entstehen mehr Skateparks“, glaubt Andreas. Auch Sporthochschuldozent Helmich ist der Ansicht, dass die Vorteile überwiegen. „Durch die große Bühne Olympia dürfte die Szene mehr gesellschaftliche Akzeptanz erfahren“, sagt er. Immer noch gibt es Vorbehalte gegen die Skateboarder, vor allem gegen die Skatepunk-Szene.
“Man sollte das Potenzial der Sportart nicht unterschätzen”
Aber das Bild vom kiffenden Skater ist am Bröckeln. Schon lange. „Vor zwanzig, dreißig Jahren gehörte das noch dazu“, sagt Helmich. „Das hat sich geändert.“ Der Wissenschaftler kommt an der Sporthochschule in Köln mit jungen Skateboarderinnen und Skateboardern in Kontakt. Viele von ihnen sehen das Skateboarden zuerst als Sportart, dann erst als Lifestyle. „Man sollte auch nicht das Potenzial der Sportart unterschätzen. Es kann insbesondere die Motorik von Kindern, deren Balanceschulung, stark verbessern“, sagt Helmich auch mit Blick auf die vielen jungen Sportlerinnen und Sportlern, die in Tokio teilnehmen werden.
Neben der Berlinerin Lilly Stoephasius, gerade einmal 14 Jahre alt, geht zum Beispiel die US-Amerikanerin Sky Brown an den Start. Brown ist sogar noch ein Jahr jünger als Stoephasius, sie ist schon ein Star. In den sozialen Netzwerken folgen ihr Millionen Menschen, vor wenigen Monaten veröffentliche sie ihre Biographie. Die Vermarktung des Kindes steuern die Eltern. Das alles wirkt schwer befremdlich. Dennoch wird auch Brown sicher so manches junges Mädchen dazu animieren, mit der Sportart anzufangen. „Skateboarden ist schon lange nicht mehr nur was für coole Jungs, die gern im Park abhängen“, sagt Helmich.
Im Gegenteil, immer mehr drängen in den Leistungssport. Und um höchstes Niveau zu erreichen, unterwerfen sie sich einem strengen Trainingsplan mit all dem Schnickschnack, der im Spitzensport dazugehört. Die Top-Skateboarderinnen und -Skateboarder achten auf die richtige Ernährung, zudem spielen Physiotherapie, Stretching und Kondition eine wichtige Rolle. Dinge also, die in den Neunziger- und teilweise noch in den Nullerjahren undenkbar erschienen. Wer früher übermäßig an seiner körperlichen Fitness arbeitete, galt in der Szene als Außenseiter, als jemand, der die Lifestyle-Kultur des Skateboardens nicht verstanden hatte.
Die jüngere Skateboarder-Generation sieht das weniger dogmatisch. „Es ändert sich ja nichts am Lifestyle“, glaubt zum Beispiel der Neuköllner Max. „Die Leute, die Lust haben Profi zu werden, früh aufzustehen, hart zu trainieren, die sollen das machen“, findet er. „Der Rest halt nicht.“
Skateboarden ist über all die Jahre erwachsener geworden. Der Nihilismus, die Anarchie, die dem Ganzen anhing, scheint verflogen. Und der größte Beleg dafür ist die Olympiawerdung einer Sportart, die mal ein reiner Lifestyle war.