Ende mit Schrecken
Der Knoten platzt erst im Finale: Bis dahin hat Christoph Eschenbach sein Konzerthausorchester sicher durch Gustav Mahlers 1. Sinfonie geführt, die musikalischen Massen organisiert, überzeugende Temporelationen gefunden und Lautstärke-Extreme vom kaum hörbaren Pianissimo bis zum knalligen Powerplay ausgereizt, mit der Selbstverständlichkeit des 79-jährigen Altmeisters. Die Doppelgesichtigkeit dieser Musik aber wird nicht deutlich am Donnerstag, es brodelt nicht unter der Oberfläche, da glüht keine Lava unter der brüchigen Oberfläche der Zivilisation.
Behaglich geht es los, Naturstimmungen wechseln sich ab, mal zieht auch ein Wetterleuchten über die alpine Idylle. Tänzerisch bewegt, wie es die Partitur fordert, ist der folgende Satz, ohne übertriebenen Wiener Schmäh im Mittelteil. „Bruder Jakob“ in Moll klingt anschließend wie ein Trauermarsch im Kinderzimmer, weil der Teddy ein Glasauge verloren hat.
Dann aber, mit der akustischen Explosion, die den Schlusssatz einleitet, vermag Eschenbach seinen Musiker:innen den entscheidenden Energie-Impuls zu geben: Jetzt wird sie spürbar, die zuvor vermisste emotionale Dringlichkeit, nicht allein in den packenden Tutti-Steigerungen, auch im sehnsuchtsschweren Spiel der Streicher. Das Konzerthausorchester kann brillieren in dieser von Blitzen durchzuckten Vision der Apokalypse, in der alle kommenden Katastrophen des 20. Jahrhunderts aufscheinen, erahnt vom sensiblen Komponisten im Jahr 1899.
Pianist Seong-Jin verzichtet auf den Flirt mit dem Publikum
Zuvor hat der Pianist Seong-Jin Cho im beglückend gut besuchten Saal eine interessante Lesart von Chopins 1. Klavierkonzert angeboten: Er verweigert sich ganz den „Seht her, was ich kann!“-Showeffekten des Virtuosenstücks, will keinen Flirt mit dem Publikum. Was ihn vor allem interessiert, sind die intimen Momente des Werks, in denen der Solist in Träumereien abgleitet. So als spiele er ganz für sich allein.
Das ganze Werk wird bei Cho zum Nocturne mit obligatorischem Orchester – was als Interpretation aber organisch wirkt und nicht exzentrisch, weil der Pianist dennoch Kontakt zu den Mitmusizierenden hält, immer wieder in den Dialog mit den solistischen Holzbläsern tritt. Der langsame Mittelsatz wird bei Seong-Jin Cho folglich zum Herzstück, mit wunderbar innig ausgesungenen Melodien, leuchtenden Tönen. Und auch im Schlusssatz bleiben seine perlenden Läufe, die technisch anspruchsvollen Passagen für ihn nur Etappen auf dem Weg zur nächsten Insel der Selbstvergessenheit.