Aufstehen, Zähne putzen, leben
Es ist schwer, eine Person zu sein. Alkohol hilft vielen Menschen dabei – so auch Carol, der Mutter von Samantha. „Verurteile mich nicht dafür, dass ich abends etwas Wein trinke“, sagt sie ihrer Tochter. „Jeder will abends etwas Wein trinken.“ Für Samantha aber ist das keine Option mehr. Statt zu helfen, ist der Alkohol selbst zu ihrem Problem geworden. Und wenn das Leben schon für gesunde Menschen eine Herausforderung sein kann, macht eine Suchterkrankung das Ganze noch viel schwerer. Das lernt Samantha auf die harte Tour.
Die US-Comedy-Serie „Single Drunk Female“, die in Deutschland am Mittwoch auf Disney Plus startet, begleitet Samantha dabei, wie sie ihr Leben langsam wieder in den Griff bekommt. Die 28-Jährige hat ihren Medienjob in New York auf spektakuläre Weise verloren und ist gezwungen, zurück in die Kleinstadt bei Boston zu ziehen, wo sie aufgewachsen ist, ins Haus ihrer peniblen Mutter Carol (eine wunderbar angespannte Ally Sheedy).
Ein Jahr lang darf sie nicht trinken und muss zu Treffen der Anonymen Alkoholiker gehen, sonst droht ihr eine Gefängnisstrafe. Während sie das Zwölf-Schritte-Programm durchläuft, erlebt sie viele erste Male: Nüchtern tanzen, nüchtern Sex haben und – besonders schwierig, wie sich herausstellt – nüchtern schreiben.
Mehr Kontemplation hätte gut getan
Die Showmacherin Simone Finch verarbeitet in der Serie ihre eigenen Erfahrungen als junge alkoholabhängige Frau. Zu den Produzent:innen gehört Jenni Konner, die gemeinsam mit Lena Dunham „Girls“ kreierte und auch eine Episode für „Single Drunk Female“ schrieb. Ein bisschen erinnert die Show dann auch an „Girls“, mit der Mischung aus ernster Thematik, dunklem Witz und humoristisch überzogenen Nebencharakteren.
Eine Comedy-Serie über Sucht zu machen, ist allerdings nicht einfach. „Single Drunk Female“ hat besonders in den ersten Folgen Probleme, den richtigen Ton zu treffen. Samanthas Eskapaden wirken oft eher witzig als tragisch, die Gefahr der Verharmlosung schwingt mit. Ein Jahr in zehn halbstündige Episoden zu packen, sorgt für ein extrem schnelles Erzähltempo.
Etwas mehr Kontemplation hätte der Serie gut getan, vor allem die Nebenfiguren bleiben an der Oberfläche: Da ist die partywütige alleinerziehende Mutter Felicia (Lily Mae Harrington), die verantwortungsvolle ehemalige beste Freundin Brit (Sasha Compère) und Samanthas Love-Interest James (Garrick Bernard), der selbst mit seinem Alkoholismus zu kämpfen hat. Auch über Samanthas Verhältnis zu ihrer Mutter hätte man gern mehr erfahren. Nach dem Krebstod des Vaters ist es angespannt, die Gründe dafür bleiben im Dunklen.
Zwischen Arroganz und Verletzlichkeit
Dass „Single Drunk Female“ trotzdem sehenswert ist, liegt vor allem an der charismatischen Sofia Black-D’Elia als Sam. Die 30-Jährige, die mit der MTV-Serie „Skins“ bekannt wurde, wechselt leichtfüßig zwischen Arroganz und Verletzlichkeit. Mit jeder Episode streift sie eine weitere Schicht von Sams harter Schale ab.
Zwischen vielen witzigen Szenen gibt es auch bewegende Momente, etwa zwischen Samantha und ihrer pragmatischen Sponsorin Olivia (Rebecca Henderson). Die holt Samantha in der ersten Folge aus der Ausnüchterungszelle ab und fährt sie nach Hause. „Was soll ich machen?“ fragt die orientierungslose junge Frau ihre Mentorin. „Versuche einfach, eine Person zu sein“, antwortet die. „Putz’ deine Zähne, nimm’ eine Dusche und mache jeden Tag dein Bett.“ Samantha ist nicht überzeugt: „Das mit dem Bett ist metaphorisch gemeint, oder?“ Bevor sie am nächsten Tag das Haus verlässt, richtet sie dann aber doch Decken und Kissen her. Ein erster Schritt dahin, wieder eine Person zu werden.