Wenn Gott zum Abendessen kommt: Stories von der US-Autorin Deesha Philyaw
Darf man das? Sex haben im Auto direkt vor dem Hospiz, während die eigenen Eltern kurz davor sind, einen Krebstod zu sterben, und in jedem Augenblick ein Anruf erfolgen könnte? „Was, wenn eine unserer Mütter stirbt, während wir hier unten, um einen Ausdruck meiner Großmutter zu verwenden, rammeln wie die Karnickel?“
Das fragt sich die Ich-Erzählerin der kürzesten Geschichte dieser unbedingt lesenswerten Erzählsammlung der US-amerikanischen Autorin Deesha Philyaw. „Church Ladies“ heißt der Band, ohne dass eine der neun Erzählungen so betitelt wäre.. Was aber gar nicht weiter ins Gewicht fällt: Mit der Kirche und dem Glauben haben alle Figuren hier mal mehr, mal weniger zu tun.
Die Frage nach der Schuld, das Bewusstsein von Schuld, ob Gott ihr Tun gutheißen würde, ob es richtig ist, sich von seinen gläubigen Eltern zugunsten gleichgeschlechtlicher Beziehungen abzuwenden (und trotzdem nicht von den Eltern loszukommen), all das beschäftigt die ausschließlich Frauen in diesen Geschichten immer wieder.
Die Väter sind allesamt nicht „der Hit“
Wenn sie dann richtig jung sind, wie die Erzählerin der mit „Pfirsich-Cobbler“ überschriebenen Geschichte, haben sie noch völlig andere Probleme mit Gott. Der ist für sie erst mal ganz real ein dicker, alter, wie „ein schwarzer Santa Claus“ aussehender Pfarrer, der montags zum Pfirsichkuchenessen kommt. Aber nicht nur das: „An manchen Montagen kam Gott nach dem Abendessen und ging wieder, während ich noch auf die Wohnzimmercouch gekuschelt ,Unsere kleine Farm’ sah. An anderen Tagen waren meine Mutter und Gott schon im Schlafzimmer, wenn ich aus der Schule kam. (…) ,O Gott! O Gott! O Gott!’, schrie meine Mutter. Und Gott hörte ich auch, seine leise, heisere Stimme, die ,ja’ keuchte, ,ja, ja, ja“.
Genau, die Sache mit Gott entbehrt auch nicht der Komik – obwohl jenseits aller Bibelfestigkeit das Leben schwarzer Frauen schwer genug ist. Väter, die keine waren, die „als Dad nicht gerade der Hit“ waren, wie es in der dritten Geschichte die Briefschreiberin an ihre unbekannte Schwester vor der Beerdigung ihres Vaters ausdrückt; Männer, die ihre Frauen sofort verlassen, nachdem diese schwanger geworden sind. Oder die sie, noch schlimmer, im Drogenrausch töten.
Diese Frauen machen auch, obwohl sie zumeist in ihren Communities in den Südstaaten der USA leben, Rassismuserfahrungen. So wie die Kunstlehrerin in „Im Bett mit einem Physiker“ auf einem Kongress: „Aber als schwarze Frau spielst du dort ,Negerzählen’, wie bei jedem Kongress. Er ist die Nummer zwölf, unter Hunderten, die an der Tagung teilnehmen.“
„Church Ladies“ ist Deesha Philyaws Debüt als Schriftstellerin, ein spätes Debüt. Geboren 1971 in Jacksonville, studierte Philyaw erst Wirtschaftswissenschaften, bevor sie in den nuller Jahren mit dem Schreiben für Zeitschriften begann. Nach ihrer Scheidung betreute sie erst einen Blog und verfasste später einen Ratgeber darüber, wie geschiedene Eltern am besten mit der Erziehung ihrer Kinder verfahren. „Church Ladies“ erschien zunächst 2020 in einem Hochschulverlag, in der West Virginia University Press, bekam diverse Preise (darunter den PEN/Faulkner Award) und wurde für den National Book Award nominiert.
Zu Recht, wie man nach der Lektüre erkennt. Jede dieser Geschichten ist formal anders aufgebaut. Die Erzählstimmen unterscheiden sich markant, und Deesha Philyaw nimmt ununterbrochen andere Perspektiven ein. Ob es eben jener Brief ist in „Liebe Schwester“, den eine der Erzählerinnen schreibt, ein Brief, der wiederum mit vielen Dialogszenen angereichert ist; ob sich in „Jael“ die Perspektive der Großmutter mit der ihrer Urenkelin Jael abwechselt; ob die Kunstlehrerin in „Im Bett mit einem Physiker“ sich selbst in der zweiten Person anredet; ob es Ich-Perspektiven oder auktoriale Perspektiven sind; oder ob einmal eine Frau, die ihre Mutter pflegt, anders als ihr noch lebender Bruder, immer nur „Tochter“ genannt wird, anders als ihre Brüder Rico und Bruce.
Ja, und dann gibt es da noch den „Leitfaden für gut christliche Ehebrecher“. Dieser Leitfaden ist, wenn man so will, das Leitmotiv dieser Erzählungen: eine Kampfansage an die Männer. Die sollen ihren außerehelichen Sex durchaus bekommen, aber nur zu den Bedingungen der Geliebten.
Popkulturelle Referenzen
Unter dem Punkt „Deine Religion“ steht da: „Unterrichte unbedingt weiter in der Sonntagsschule, leite weiter die Pfadfindergruppe, bleib im Kirchenvorstand.“ Unter dem Punkt „Deine Frau“: „Mach’ sie vor mir nicht schlecht. (…) Deine Frau findet es wahrscheinlich herrlich ruhig und angenehm, wenn du deine Bedürfnisse anderswo befriedigst.“ Und unter dem Punkt „Gefühle“: „So leid mir das für dein Ego tut: Guter Sex führt nicht dazu, dass ich etwas für dich empfinde.“
Auch bei diesem Leitfaden merkt man, wie viel untergründigen Humor Philyaw hat, ohne sich von einem falschen Verständnis für die Welt der Männer, der schwarzen hier zumal, leiten zu lassen. Komplex und emotional ausdifferenziert sind all ihre Geschichten, inklusive popkultureller Realitäten und Referenzen, von den O’ Jays über Erick Sermon von EPMD bis hin zu der Frage, ob Prince oder Michael Jackson?
Natürlich spielen die Kirche, der Glaube, eben jene Sonntagsschulen eine nicht unbedeutende Rolle: bei den Älteren sowieso, hin und wieder bei den Jüngeren. So wie bei Caroletta und Eula in der ersten Erzählung des Bandes. Irgendwann reicht es Caroletta mit der Bibeltreue und dem Warten auf den Richtigen ihrer Freundin und sie belehrt sie: „Aber wer sagt, was normal ist, Eula? Irgendwelche Männer, die schon seit Jahrtausenden tot sind? Die an der Sklaverei nichts verkehrt fanden und Frauen als ihr Eigentum betrachtet haben?“
Damit ist Schluss in der Generation der heute Vierzig-, bis Fünfzigjährigen, die im Zentrum von „Church Ladies“ agieren. Selbstbehauptung und Selbstermächtigung sind Trumpf – und das kann, wie diese Erzählungen von Deesha Philyaw nicht zuletzt beweisen, enorm unterhaltsam sein.
Zur Startseite