Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin: Witz und Schrecken
Adam Fischer sprintet das Dirigentenpult der Philharmonie hinauf – nicht um zu zeigen, dass er als 73-Jähriger in Topform ist, sondern weil ihm das gravitätische Auftreten seiner Kollegen suspekt ist. Der ältere Bruder von Iván Fischer mag auf den ersten Blick etwas verhuscht wirken, ist aber ein ebenso freundlicher wie streitbarer Geist, wenn es um jene Freiheiten geht, ohne die es keine Kunst geben kann.
Für sein Debüt beim Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB) hat er Werke zweier Komponisten mitgebracht, denen er sich zutiefst verbunden fühlt. Über Jahre hinweg spielte er die Opern Haydns ein, einer Musikwelt zum Trotz, die darin lange keine Meisterwerke entdecken wollte. Fischer weiß, dass Witz kein bloßer musikalischer Effekt ist, sondern eine Lebenshaltung.
Adam Fischer wirbt seit langem für Haydns Opern
So stürzt er sich in eine Jagdszene, die Haydn – ökonomisch nachhaltig denkend – sowohl für das Finale seiner Sinfonie „La Chasse“ als auch als Ouvertüre zur Oper „La fedeltà premiata“ einsetzte. Dass ein paar Hörner dabei durch den Saal wandern, ihr Klang bald hinter der Bühne, bald im Publikum erschallt, scheint der Dirigent vergessen zu haben.
Das verblüffende, augenzwinkernde Spiel mit den Konventionen treibt Fischer mit der 97. Sinfonie aus Haydns erstem Londoner Jahr mit Furor weiter. Dabei entlockt der den Streicherinnen und Streichern des RSB eine berauschende Palette an Farben und eilt zu Höhepunkten, die immer nur Anlass sind für eine weitere Volte. Den hervorgekitzelten Applaus zwischen den Sätzen sieht Fischer als Teil des Spiels.
Nach der Pause füllt sich das Podium für Bartóks Oper „Herzog Blaubarts Burg“, während der Zuschauerraum unübersehbar daran erinnert, dass hier ein außergewöhnliches Konzert bei unterdurchschnittlicher Auslastung stattfindet. Wie zuvor Haydn dirigiert Fischer auch Bartók ohne Partitur. Er hat das einstündige Psychodrama zwischen der jungen Frau Judith und dem von einer gewalttätigen Aura umgebenen Blaubart bis in die feinsten Nervenverästelungen hinein verinnerlicht.
Dorottya Láng dabei zu folgen, wie sie, getragen vom Glauben an Jugend und Liebe, immer tiefer in die verschlossenen Kammern von Blaubarts Psyche hinabsteigt, ist ein Erlebnis. Bald droht das Orchester sie zu verschlucken, doch ihr Schrei dringt durch alles hindurch, selbst durch die akustische Wand aus gleißendem Weiß. Miklós Sebestyén legt seinen Blaubart berückend sanft an, was den Schluss umso brutaler in die Stille sinken lässt. Dann bricht der Jubel los, den Adam Fischer sichtlich mitgenommen entgegennimmt.
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