Rauch und Trümmer in Wolfsburg: Das Problem in der Kurve von Hertha BSC
Den letzten Versuch – nach vielen vergeblichen Versuchen seines Wolfsburger Kollegen – unternahm Fabian von Wachsmann, der Stadionsprecher von Hertha BSC aus dem Olympiastadion. Kurz vor Schluss des Spiels in Wolfsburg richtete er über die Stadionlautsprecher die Bitte an die Fans aus Berlin, das weitere Abbrennen von pyrotechnischen Erzeugnissen zu unterlassen. Es könnte den eigenen Verein, um den es finanziell bekanntlich nicht zum Besten bestellt ist, teuer zu stehen kommen.
Knapp 3000 Anhänger hatten Herthas Mannschaft am vergangenen Samstag zum vorerst letzten Spiel in der Fußball-Bundesliga nach Wolfsburg begleitet. Den meisten von ihnen ging es darum, noch einmal ihre Verbundenheit zum Klub zu demonstrieren und ein Zeichen des Zusammenhalts zu setzen – wie schon die ganze Spielzeit über, in der sich der Unmut über den sportlichen Misserfolg in Grenzen gehalten hatte.
Ein anderer Teil des Anhangs aus Berlin hatte es auf Kritik angelegt, und wiederum ein anderer war offenbar auf Krawall gebürstet. Die Ultras enthüllten mit dem Anpfiff ein Transparent, mit dem sie ihre Wut auf Klub, Spieler und Funktionäre kundtaten: „Millionen kassiert, unseren Verein blamiert – Söldner im Verein und auf dem Feld: Verpisst euch!“
Organisierten Support von den Ultras gab es nicht, der Vorsänger schwieg demonstrativ – nachdem die Mannschaft in sämtlichen Spielen zuvor trotz sportlich anhaltender Minderleistungen bedingungslos unterstützt worden war. Sich zum Abschluss der Spielzeit noch einmal selbst zu feiern, sollen die Ultras nach dem Abstieg als unangebracht empfunden haben.
Eine Toilette im Gästebereich wurde demoliert
Vereinzelt, so war es zumindest in Sozialen Medien zu lesen, sollen „normale“ Fans sogar am Anfeuern und am Singen gehindert worden sein. Und als sich die Mannschaft nach dem Abpfiff noch einmal Richtung Kurve begab, um sich ein letztes Mal von ihren Fans zu verabschieden, schallten ihr „Absteiger! Absteiger!“-Rufe entgegen.
Das alles ist durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Allerdings gab es in Wolfsburg auch einen vergleichsweise massiven Einsatz von Pyrotechnik aus der Hertha-Kurve heraus. In der Anfangsphase musste die Begegnung für rund vier Minuten unterbrochen werden. In der zweiten Hälfte wurden Spieler des VfL Wolfsburg zweimal beim Ausführen einer Ecke gezielt mit Böllern attackiert. Laut einer Pressemitteilung der Polizei Wolfsburg wurden mindestens zwei unbeteiligte Personen verletzt, die mit Brandwunden medizinisch behandelt werden mussten.
Zudem wurde im Gästebereich eine Toilette nahezu komplett zerstört, wie ein Video auf Twitter zeigt. Trennwände waren beschmiert und eingetreten, Waschbecken und Urinale demoliert worden. Während des Spiels flog ein Klodeckel aufs Feld.
„Solche Aktionen sind aber absolut daneben und nicht tolerierbar“, erklärte Thomas Herrich, Herthas Geschäftsführer. Der Klub wolle sich beim VfL Wolfsburg entschuldigen und werde auch für die entstandenen Schäden aufkommen. Von Seiten des VfL heißt es auf Nachfrage, dass die Schäden massiv seien. Wie hoch genau, das lässt sich noch nicht beziffern. Man sei derzeit noch bei der Bestandsaufnahme.
Hertha droht eine hohe Strafe
Auch der Einsatz der Pyrotechnik wird Hertha teuer zu stehen kommen. Für das Abbrennen berechnet der Deutsche Fußball-Bund 1000 Euro (je pyrotechnischem Gegenstand), für das Werfen und Abschießen sind es sogar 3000 Euro. In Wolfsburg flogen Böller und Raketen, dazu wurden etliche Bengalfackeln gezündet. Einen mittleren fünfstelligen Betrag dürfte Hertha das kosten.
In der Nachbetrachtung der Ereignisse sind vor allem Herthas Ultras für die diversen Vergehen verantwortlich gemacht worden. Aber so einfach ist es womöglich nicht, auch wenn sich die Verursacher, abgesehen von einigen wenigen Böllerwerfen, bisher nicht haben identifizieren lassen.
Pyrotechnik ist zwar Teil der Ultrakultur, aber das Werfen von Böllern, das zuletzt häufiger zu beobachten war, wird von Herthas Ultraszene generell abgelehnt. Der massive Einsatz von Pyrotechnik im Wolfsburg soll auch keine konzertierte Aktion der Ultras aus Anlass des Abstiegs gewesen sein. In der Vergangenheit hatte es bei den Abstiegen des 1. FC Köln (2012) und des Hamburger SV (2018) solche Fälle gegeben, die immer auch der Selbstinszenierung der Szene dienen.
In Herthas Kurve – das war schon nach dem ersten Bundesliga-Derby an der Alten Försterei im November 2019 beklagt worden – tummeln sich inzwischen wieder deutlich mehr junge Männer, die ihr Fansein vor allem körperlich ausleben wollen: muskelbepackte Kampfsportler, die es mit der Einhaltung der Gesetze nicht immer so genau nehmen und denen mit rationalen Argumenten in der Regel ebenso wenig beizukommen ist wie mit freundlichen Worten.
Auch am Dialog mit dem Verein sind diese jungen Männer ausdrücklich nicht interessiert. Für Hertha BSC macht das die Sache künftig nicht einfacher.