Aus dem Dickicht bricht das Bild

Nach „Alice in Wonderland“ schrieb Lewis Carroll die Romanfortsetzung „Through the Looking-Glass“. Ein bisschen so wie Alice, die sprichwörtlich durch einen Spiegel über dem heimischen Kaminsims zurück ins unheimliche Wunderland kraxelt, fühlt man sich auch beim Betrachten von Philipp Fürhofers Leuchtkästen. Vier solcher Bildermaschinen sind jetzt auch in der dritten Einzelausstellung des gebürtigen Augsburgers in der Galerie Judin zu sehen.

Wo Fürhofer halbdurchlässige Spiegel, Malerei, Zeichnung und zyklisch aufleuchtendes und verglimmendes LED- Licht miteinander kombiniert, erblickt man zeitweilig sich selbst, bevor die Innenbeleuchtung eine tiefere Bildebene freigibt. So spiegelt sich im Hochformat „Austausch“ einmal bloß der Galerieraum mit Publikum, dann erscheint ein unheimlicher Scherenschnitt-Wald, rückwärtig-silbern wie vom Mondlicht beleuchtet. Als wäre der Vorhang über der Wolfsschluchtszene von Carl Maria von Webers Freischütz aufgegangen.

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Keine beliebige Assoziation, denn Philipp Fürhofer ist gleichermaßen als bildender Künstler wie als Bühnenbildner für das Musiktheater erfolgreich. An der Pandemie scheiterte zuletzt eine „Castor und Pollux“-Produktion mit dem kürzlich verstorbenen Hans Neuenfels an der Bayerischen Staatsoper. Bitter, doch andererseits verdankt Fürhofer der Covid-Bühnenpause mehr Freiraum für die Kunstpraxis. Das zeigt sich im fast kathedralenhaften, acht Meter hohen Galerieraum – nicht nur quantitativ mit 16 teils großformatigen Werken, sondern auch in der Verfeinerung der Mittel.

Seine Malerei hat in der Corona-Klausur gewonnen

Fürhofer, der an der Berliner Hochschule der Künste studiert hat und sich von Malern wie Lovis Corinth oder Per Kirkeby inspirieren ließ, setzt neben Malerei zunehmend Zeichnung ein, die er mitunter auch ins Plexiglas ritzt. Vor allem seine Malerei hat in der Corona-Klausur gewonnen. Nicht nur Übermalung, sondern auch Wegkratzen der Farbe kommt vor, sodass untere Bildschichten sichtbar werden. Insgesamt fällt eine Tendenz zur Verdichtung von Strukturen auf. Dieses „Dickicht“ – bei einigen Wald- und Uferlandschaften ist das inhaltlich zu verstehen – hängt auch damit zusammen, dass Fürhofer bei zwölf von 16 Bildern nur noch mit einer Bildfläche aus Acrylglas arbeitet. Weiterhin setzt er dort Hinterglasmalerei ein. Aber er kann auch mal auf die Tiefenstaffelung der Miniatur-Guckkastenbühne verzichten, auf Elektrifizierung und Leuchtröhren, die er in den neuen Kästen gern wie durch Wolken brechende Lichtstrahlen anordnet.

Bei den flachen Werken rücken seine disparaten Bildzeichen noch dichter zusammen, um sich bisweilen zu durchdringen: Fürhofer kombiniert Naturbilder mit Darstellungen innerer Organe aus bildgebenden Verfahren der Medizin. In den Landschaften tauchen vorzugsweise Herzen auf, Reflex auf eine lebensrettende Transplantation, der sich Fürhofer vor 15 Jahren unterziehen musste. Blutgefäße und Geäst sind mitunter kaum unterscheidbar, das Körperliche und die Zyklen und Prozesse der Biosphäre werden in den Bildern zusammengedacht.

Die Bilder lassen sich als Memento Mori lesen

Der Dualismus von Mikro- und Makrokosmos erzeugt unterschiedliche Stimmungswerte: Das Bild „Carbonization“ zeigt ein sich zersetzendes Palmenstrandidyll und wirkt apokalyptisch, während sich das fast altmeisterlich gemalte Wald-Diptychon „Truths Behind“ mit abgestorbenen Stämmen und eingeblendeten Brustkorb-Röntgenaufnahmen eher als Memento Mori liest.

[Galerie Judin, Potsdamer Str. 83, 30.4. bis 11.6.]

Der Ausstellungstitel „The Truths Behind“ lässt kritische Reflexionen über eine Unkultur der Fake News vermuten. Das lösen die Bilder aber (noch) nicht ein. Doch als klassisch gebildeter Digital Native nimmt Fürhofer eine interessante Position ein. Als wären seine Bilder Screens mit Internetanschluss, lässt er Unerwartetes auftauchen. Zum Beispiel Wortelemente im Lichtkasten „Beauté Naturelle“ und in Landschaften versteckte küssende Filmpaare aus „Vom Winde verweht“ oder „Über den Dächern von Nizza“. „Movie Kiss“ präsentiert Grace Kelly und Cary Grant formatfüllend engumschlungen, aber auch unappetitlich zerlaufend wie Schmelzkäse der Marke „Dorian Gray“. Fürhofer zeigt beide Seiten des Spiegels, das Schöne und Zerstörte, die Ekstase und den Zerfall.