„Natürlich sind wir Nazis“

Es ist selten sinnvoll, wenn Medien mit der AfD reden. Das kann man an dem Schmierentheater sehen, das Alice Weidel abzieht in der aktuellen ARD-Dokumentation über den geleakten Chat der Fraktion, der sie vorsteht. Tut so, als wüsste sie von nichts, um zu den umstürzlerischen Äußerungen dann schmallippig zu sagen: „Letztendlich ist das eine Rhetorik, von der man Abstand nehmen sollte.“

Nur macht das die AfD nicht. Im Gegenteil: Sie lebt von genau dieser Rhetorik. Das kann man in Andreas Wilckes Kinodokumentarfilm „Volksvertreter“ sehen. Interessanterweise nimmt der Film wie die ARD-Doku über die Chats seinen Ausgangspunkt am Wahlabend 2017. In der ARD-Dokumentation wird zu dräuender Musik an Gaulands Marschbefehl („Wir werden sie jagen“) erinnert. Wilckes Film orientiert dagegen auf einen weniger martialischen, eher warnend vorgetragenen Satz aus der Rede: „Und bitte keine Sprüche, die uns später auf die Füße fallen können.“ Ein Sprechverbot, aber eines, das für die Unaufrichtigkeit der Partei konstitutiv ist.

„Volksvertreter“ ist eine dokumentarische Arbeit genau darüber – über die Rhetorik einer Partei, die fortwährend damit beschäftigt ist, sich selbst und ihre rechten Ziele kommunikativ zu verleugnen. Zwei Jahre lang beobachtet der Film vier AfD-Abgeordnete – drei Westdeutsche und einen Mann aus Stralsund. Und zeigt, was AfD-Leute sagen, wenn sie nicht in Fernsehkameras oder Aufnahmegeräte sprechen.

[In sieben Berliner Kinos]

Das mit der Selbstverleugnung führt am besten Norbert Kleinwächter vor. Der Brandenburger Abgeordnete aus Augsburg ist Literaturwissenschaftler, begann in der WASG, spricht Französisch und will in einer frühen Rede mit Freuds Begriff vom Unheimlichen hantieren. Er echauffiert sich aber bald in eine Opferrede vor seinen Mitarbeitern hinein, in der er als AfD-Mann angeblich in einer Reihe mit Hexen, Kolonialisierten und Juden stehe. Später listet Kleinwächter vor einem Fußball-WM-Spiel der deutschen Herrenmannschaft jeden Spieler auf, der aus seiner Sicht nicht deutsch ist („Niklas Süle ist von Vaters Seite Ungar“).

Damit wird vor allem den rassistischen Weltbildern des Häufleins Schauender der Teppich ausgerollt, die Wilckes Film aufmerksam registriert: Als ein afrodeutscher Spieler einen Fehler macht, ruft jemand freudig „Abschieben“.

Durch seinen Fokus aufs Sprachhandeln macht „Volksvertreter“ immer wieder den Abstand der AfD zur Realität sichtbar. So will Kleinwächter sich auf einer Bürgerversammlung wiederum in großer Opferpose von der „Definition“ als „Nazi“ befreien, als ihm der völkisch gesinnte Fragesteller („Wo liegt die Urwertschöpfung?“) humorlos in die Parade fährt: „Natürlich sind wir Nazis.“ Der Mann wird erregt des Saals verwiesen.

Ex-ARD-Mann Hampel in Feldmarschall-Pose

Mit dem Kaschieren des eigenen Denkens ist auch Götz Frömming beschäftigt, ein Pankower Abgeordneter, gebürtig aus Eutin. Der hat als Medienmann der Partei für ein Präsentationsvideo Probleme mit einer Weidel-Rede, in der die Fraktionsvorsitzende „Ihr Kampf“ sagt: „Nazibezüge besser rausnehmen.“

Man kann an solchen Stellen von Wilckes Beobachtung verstehen, warum die AfD ihre eigenen Begriffe braucht, um die eigene, alternative Weltsicht aufrechtzuerhalten. Es wird in „Volksvertreter“ aber nicht nur das rhetorisches Lavieren erkennbar. Es fallen in den Runden mit Mitarbeitern auch Äußerungen, die die Strategie der Partei beschreiben. So antwortet der bevorzugt in Feldmarschall-Pose auftretende Ex-ARD-Mann Armin-Paulus Hampel auf die Mitarbeiterfrage, ob er auch die Anträge von Linken und Grünen lesen wolle: „Das ist doch völlig unwichtig. Ich konzentriere mich auf unseren eigentlichen Feind.“ Und das ist die CDU, „solange die nicht kooperieren wollen.“

In diesen Momenten ist Wilckes Film klüger und klarer als der Großteil der öffentlichen Debatte. Komisch wird es mitunter auch, wenn etwa Enrico Komning nach einem Namen für sein Team sucht, das Unterstützungsshirts bekommen soll. „Kommando Komning“ scheint dem clevereren Mitarbeiter zwar zu militärisch, setzt sich auf Wunsch vom Chef aber durch – auch weil der die Abkürzung „KoKo“ so toll findet.

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Dokumentarfilme über die AfD und ihre rechtsextremen Freunde stehen immer vor dem Dilemma, dass sie einem Phänomen Aufmerksamkeit verschaffen, das allein darauf aus ist.

„Volksvertreter“ gehört zu den gelungeneren Arbeiten. Entscheidend ist die Beherrschung der Form: Andreas Wilcke stellt das Material kommentarlos gegeneinander, hier kommt nur die AfD zu Wort. Das war schon in Simon Brückners auf der Berlinale gezeigter Beobachtung „Eine deutsche Partei“ so, die im Vergleich zu „Volksvertreter“ der aufwendigere und schickere Film ist. Aber auch der unentschiedenere. Bei Wilcke ist das Geld knapper, aber die Form strenger. Und gegen die Faszination hilft der Schnitt. Am Schluss, wenn die Nationalhymne gesungen wird, kann man nicht nur Hampels zackige Haltung bewundern. Das Pathos des Lieds bricht die AfD von allein – durch die eher kläglichen Sangeskünste der Brandenburger Truppenteile um Kalbitz und Kleinwächter.