„August“ führt in die Abgründe einer narzisstischen Wohlfühlgeneration

Für amerikanische Comedians sind die Hamptons, die beschauliche Landzunge am nördlichen Ende von Long Island, eine dankbare Steilvorlage, um über die liberalen Ostküsten-Eliten herzuziehen. Für New Yorker:innen mit Statusbewusstsein gehört es zum guten Ton, eine Sommerresidenz in der Neureichen-Enklave am Atlantik zu besitzen. Oder anders ausgedrückt: Was den Berlinern ihre Datsche in Brandenburg, ist den New Yorkern das Landhaus in den Hamptons – nur drei Einkommensklassen drüber.

In einer der besten Episoden der Neunziger-Jahre-Sitcom „Seinfeld“, lange vor der Landlust-Expansion und dem Immobilienboom im New Yorker Hinterland, verbringen die vier Protagonisten ein Hamptons-Wochenende bei einem befreundeten Ehepaar mit Nachwuchs, das zwangsläufig im Culture Clash endet. Schon damals zerschellten die Neurosen der Großstädter am unerschütterlichen Selbstverständnis kultivierter Sozialdarwinisten, die sich allein qua Bankkonto auf der moralisch richtigen Seite wähnen.

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Der Journalist und Autor Peter Richter hat ein paar Jahre in New York gelebt, vermutlich kennt er sich schon aus Berufsgründen mit Hamptons-Witzen aus. Oder er hat sie damals live erlebt: auf gesellschaftlichen Empfängen, wo die Vorzüge eines Zweitwohnsitzes in grünen Gated Communities mit einer Mischung aus Wohlfühlprosa und Anlageberatersprech referiert werden. Inzwischen ist Richter zurück in Berlin, aber die New Yorker Jahre haben ihre Spuren hinterlassen.

Sein zweiter Roman ,„August“ ist eine Urlaubsgeschichte aus den Tiefen einer Beziehungshölle: genüsslich mariniert in süffisantem Weltekel und zum Schmoren im eigenen Saft der gnadenlosen Sommersonne überlassen.

Viel Mitgefühl mit seinen Figuren hat Richter nicht

Der Bungalow mit Pool, um den sich Richters Roman wie in einer verfluchten Moebius-Schleife windet, gehört Richard und Stefanie, Deutsche im New Yorker Exil. Er macht irgendwas mit Immobilien, sie befindet sich – zum Amüsement ihres Mannes – auf einem esoterischen Trip im inneren Einklang mit ihrem Astralwesen.

Richards Jugendfreunde Alec, ein erfolgreicher Geisteswissenschaftler mit massiver Schreibblockade, und seine Frau Vera, Ärztin, sind über den Sommer aus Berlin zu Besuch gekommen und erleben einen kleinen Kulturschock. Gelegentlich schaut auch ein österreichischer New-Age-Guru vorbei, spöttisch „Kaunsler“ genannt (oder, von der Babysitterin der beiden Pärchen, „Creep“), der in den Hamptons die feinstofflichen Energien der Schönen und Reichen fließen lässt und sich mit jahrtausendealten Heilmethoden um Stefanies Mental-Hygiene kümmert.

[Peter Richter: August. Roman. Hanser Verlag, München 2021. 256 Seiten, 22 €]

Viel Mitgefühl hat Richter für seine Figuren nicht übrig. In „August“ trifft das selbstverständliche Herrschaftswissen mittelalter weißer Männer, inklusive der entsprechenden Vermögenswerte („Alter schafft Machtverhältnisse, Geld schafft Machtverhältnisse“, doziert Alec), auf die kosmischen Kräfte der Natur, die laut Kaunsler am besten mit Gartenzwergen zu kanalisieren sind, denn „die rote Zipfelmütze symbolisiert die Feuerkräfte der Erde“.

Vom Technoclub ins Habitat der Öko-Faschisten

Der Pool, um den sich alle gelangweilt räkeln, fungiert derweil wie ein Brennglas. Das Wasser heizt sich mit jedem Tag mehr auf, wie auch die Stimmung zwischen den Pärchen: Sie werden zu Ameisen auf dem sengenden Beton, die der Autor mit sadistischer Freude vor sich her jagt. Sie sind in ihren modular zusammengeklaubten Lebensentwürfen bloß traurige „Jugendlichendarsteller“ (Vera) mit den ersten Anzeichen ergrauter Haare wie „heroisch im Rockkonzert des Lebens gerissene Saiten einer Gitarre“. Einst hing man bis zum Morgengrauen in illegalen Technoclubs in Berlin-Mitte rum, nun erwehrt man sich dem Grauen vor den eigenen biografischen Brüchen mit überteuerten „Life Coachings“ im Habitat der Öko-Faschisten.

Als Mentalitätsstudie einer narzisstischen Wohlstandsgeneration fehlt „August“ zwar der Punch der Baseballschlägerjahre-Chronik „1989/90“. Doch als vielleicht letztem Feuilleton-Vertreter einer Post-„Tempo“-Schule des deutschen New Journalism versteht sich Richter auf immer verblüffend schlüssige Herleitungen, etwa von mikrosozialen Verhaltensauuffälligkeiten aus dem Geist der Popkultur (exquisit unterlegt mit dem synapsenreinigenden Hard-Bop Dexter Gordons) oder der Zivilisationsmüdigkeit seiner Figuren aus den Lehren von Diogenes und Apollonios – Alecs Thema für sein geplantes Buch.

Solche schlaumeierischen Eingebungen platziert Richter mit bissiger Ironie. Auch der Befund seiner Protagonisten im Hamsterrad der Selbstoptimierung klingt so banal wie ihre Alltagsprobleme am imaginären Infinity Pool: Vielleicht leidet ja die Industriegesellschaft an sich an einer Midlife Crisis, denkt sich Alec. Eine Heilung dieser Zivilisationskrankheit findet er auf einem psychedelischen Trip: spiritueller Kapitalismus. Aber auch der fordert Menschenopfer.