Gibt es noch Vertrauen in die Kasseler Schau?

Die Vorbereitungen zur Documenta in Kassel sind in vollem Gang. Die Säulen des Portikus vor dem Fridericianum, einem der Hauptausstellungsorte, wurden vom Künstler Dan Perjovschi mit den Themen der diesjährigen Weltkunstschau beschriftet: wackelige Zeichen auf schwarzem Grund, wie auf einer Schultafel. Frieden, Solidarität, Nachhaltigkeit, Unterstützung sind Inhalte, die das indonesische Kurator:innenteam Ruangrupa bei der Documenta fifteen umkreist.

Eingeladen haben sie nicht die Stars des Kunstmarkts, kaum einzelne Künstler, sondern Kollektive und Initiativen aus Afrika, der Karibik, dem Nahen Osten.

Documenta hat Klärungsbedarf

Seit Januar steht der Vorwurf im Raum, Mitglieder des Documenta-Teams und eingeladene Teilnehmer seien antisemitisch oder stünden der Israel-Boykott-Bewegung BDS (Boycott, Divestment and Sanctions) nahe. Deren Boykott-Aufforderungen und -Aktivitäten gegen Israel werden von der Bundesregierung im Bundestagsbeschluss vom Mai 2019 als antisemitisch eingestuft. Öffentliche Häuser sind aufgefordert, BDS-Anhängern kein Forum zu bieten. Die Documenta, als wichtigste Kunstausstellung Deutschlands und weltweit, gerät damit in Erklärungsnot.

Der Versuch zu deeskalieren ging gründlich daneben. Drei Online-Podien, die von Kulturstaatsministerin Claudia Roth angeregt worden waren, um deutsche und internationale Standpunkte über Antisemitismus auszutauschen, wurden von Ruangrupa selbst konzipiert, dann kurzfristig abgesagt. Die Gruppe erklärte den „deutschen Diskurs zu Antisemitismus und Rassismus“ als gescheitert. Offenbar gab es konträre Vorstellungen davon, über was überhaupt gesprochen werden sollte.

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Zuvor hatte sich Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, in einem Brief an die Kulturstaatsministerin gewandt. Der Zentralrat fühlte sich bei der Veranstaltung nicht repräsentiert, sah seine Expertise ungenutzt und das Thema Antisemitismus vernachlässigt. Das erste Panel sollte mit einem ehemaligen Documenta-Vortrag des US-amerikanischen Philosophen Edward Said beginnen, das zweite den postkolonialen Diskurs auf blinde Flecken abklopfen, das dritte anti-palästinensischen und anti- muslimischen Rassismus thematisieren.

Wissenschaftliche Podien waren nicht das geeignete Instrument

Die Podien wären mit deutschen, israelischen, arabischen Wissenschaftlern und Denkern besetzt gewesen, unter anderem mit dem Gründer der Forschungsgruppe Forensic Architecture Eyal Weizman, der die israelische Siedlungspolitik kritisch untersuchte, mit dem jüdischen Präsidenten des Deutschen Historischen Museums Raphael Gross, der im Rahmen einer Ausstellung die NS-Spuren der ersten Documenta- Ausgaben aufarbeiten ließ; mit der Anthropologin Sultan Doughan, die zu islamischem Extremismus und Holocaust-Gedenken forscht, mit dem israelischen Soziologen Natan Sznaider, einem Experten für Postkolonialität und Antisemitismus – einer derjenigen, der seine Teilnahme später absagte.

Ruangrupa hätte mit dieser inhaltlichen Setzung eine interessante wissenschaftliche Veranstaltung hinbekommen. Aber für eine Aussprache mit den jüdischen Gemeinschaften, als vertrauensbildende Maßnahme war es ungeeignet.

Claudia Roth hat im Zuge der Vorwürfe gegen Ruangrupa zunächst allgemein beteuert, „Antisemitismus hat bei der Documenta keinen Platz“. Man vermutete sie in einem Dilemma. Die Grünen-Politikerin hat 2019 den Bundestagsbeschluss zum BDS nicht unterschrieben. Wie 15 andere Grünen-Abgeordnete hielt sie einen generellen Ausschluss von BDS- Sympathisanten nicht für richtig. Im Zusammenhang mit der Documenta hob sie hervor, die Kunstfreiheit sei zu schützen. Nur die Grenzen der Kunstfreiheit, speziell in Deutschland, hatte sie nicht benannt, die klare Anerkennung des Existenzrechts Israels – das der BDS in Frage stellt.

Roth erkennt die Bedenken des Zentralrats der Juden an

Nun hat die Kulturstaatsministerin Position bezogen. Nach einem Treffen mit dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland Josef Schuster am 11. Mai, stellte sie sich in einer Mitteilung klar an die Seite des Zentralrates. Die Meldung wurde von ihrer Behörde und dem Zentralrat gemeinsam verfasst. Ein deutliches Signal.

„Der klare Einsatz gegen Antisemitismus in seinen unterschiedlichen Formen und der Schutz der Kunstfreiheit, aber auch die Frage ihrer Grenzen müssen gemeinsam und unter Bezug sowohl auf Deutschland als auch die internationale Dimension erörtert werden“, heißt es dort. „Dazu gehören auch das Gespräch und die Debatte über postkolonialistische Diskurse und das bei manchen dahinter stehende Bild von Israel und antisemitische Tendenzen.“ Boykotten gegen israelische Künstlerinnen und Künstler im Kulturbetrieb wolle man gemeinsam entgegentreten.

Bleibt die Frage, wie, wo und mit wem diese Dinge im Rahmen der Documenta erörtert werden? Was heißt, den Boykotten entgegentreten? Und wer holt Ruangrupa wieder ins Boot? Das Kollektiv hatte seine Position in einem offenen Brief auf der Webseite der Berliner Zeitung formuliert. Darin sprechen sie von einer „öffentlichen Vorverurteilung“ gegen sie und gehen auf konkrete Vorwürfe ein. Ausgangspunkt für die Anschuldigungen war ein Beitrag anonymer Blogger, die sich „Bündnis gegen Antisemitismus Kassel“ nennen.

Sie richteten sich gegen Mitglieder der Documenta-Findungskommission und des Documenta-Teams, die einen Protest gegen einen pauschalen Ausschluss von BDS-Anhängern unterzeichnet hatten. Daraus wurde der generelle Antisemitismus-Verdacht abgeleitet. Die Häme in manchen Feuilletons und Foren gegen die Documenta-Macher:innen aus Indonesien im weiteren Verlauf macht rassistische Stimmungen offenbar, die bei kommenden Veranstaltungen mitdiskutiert werden müssen.

Palästinensische Selbstermächtigung – könnte als Bedrohung empfunden werden

Schade, dass Ruangrupa den Brief in der Berliner Zeitung nicht mit ihren Namen unterschrieben haben, nur mit „ruangrupa, das künstlerische Team der documenta fifteen und einige der Kurator*innen des gescheiterten Forums“. Zu wissen, wer spricht, hätte für mehr Vertrauen gesorgt.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland will sichergestellt wissen, dass im Rahmen der Documenta „keine antisemitischen Kunstwerke ausgestellt und kein Antisemitismus und Israelhass propagiert“ werden. Kann Ruangrupa das garantieren? Sie haben in einem offenen Prozess Kollektive und Projekte eingeladen, die wiederum ihrerseits weitere Teilnehmer bestimmt haben. Dazu gehören FAFSWAG, die sich für queere pazifische People of colour einsetzen, das Kollektiv Britto, das sich mit Müllvermeidung in Bangladesch beschäftigt.

Dazu gehört auch „The Question of Funding“, eine Gruppe Kulturschaffender, die in dem oben erwähnten Kasseler Blog beschuldigt wurden, mit einem arabischen Nationalisten zu sympathisieren und mit ihren Aktionen den kulturellen Boykott Israels zu befördern.

„The Question of Funding“ will alternative Finanzierungsmodelle für palästinensische Kultureinrichtungen mittels Blockchain, lokaler Landwirtschaft und lokalem Handel entwickeln und das System in Kassel vorstellen. Auch das kann als Bedrohung Israels empfunden werden. Es bleibt eine Gratwanderung.