Wenn es gilt
Klaus Brinkbäumer ist Programmdirektor des MDR in Leipzig. Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter unter @Brinkbaeumer.
Zwei Männer, sie heißen Gerhard Schröder und Wolodymyr Selenskyj …, und an dieser Stelle könnte die heutige Kolumne enden, beschämt und bewundernd, alles gesagt. Über Schröder, ich verspreche es, folgen heute tatsächlich nicht viele Worte: Der ehemalige Bundeskanzler Schröder traut sich selbst jetzt nicht, Putin zu kritisieren, das ist opportunistisch; Schröder tritt nicht von seinen Ämtern in Putins Reich zurück, weil sie ihm jene Millionen bringen, die er nicht braucht, aber stets begehrte. Schröder sieht sich als charakterfesten Mann, der unter Druck nicht nachgibt, dabei ist er bloß käuflich, bloß ein Feigling, der sich nicht einmal dann traut, wenn er nichts riskieren müsste.
Was für ein Unterschied: zu den vielen, die in Russland gegen Putins Krieg demonstrieren und wissen, dass sie dafür verhaftet und getötet werden können.
Zu „TV Rain“, dem letzten unabhängigen Fernsehsender in Russland, der, natürlich, auch über die Invasion berichtet.
Schröder ist käuflich, ein Feigling
Zu António Guterres, dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, der Putin für dessen Wort „Friedenstruppen“ und für den ganzen Krieg kritisierte, was deshalb Mut erforderte, weil ein Uno-Generalsekretär eine Vetomacht nicht kritisiert – gibt’s nicht, gab es nie und jetzt doch.
Zu den Menschen in der Ukraine sowieso, die ausharren und kämpfen, wissend, dass sie militärisch kaum siegen können, aber auch wissend, dass sie kein zweites Belarus werden wollen. Sie alle schaffen mit jedem Tag, den sie überleben, etwas berührend Verbindendes: Wir sind bei ihnen, fühlen mit, leiden mit, da Smartphones und Google Maps diesen Krieg live zu uns bringen. „World War Wired“, so nennt Thomas Friedman den Krieg, der nach den Regeln des Mittelalters ausgerufen wurde (ein Diktator verlangt die Unterwerfung eines Staates, der ihm auf die Nerven geht), aber in der Medienwelt von 2022 ausgetragen wird.
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Und welch ein Unterschied zwischen Schröder und Selenskyj. Der war im früheren Leben Schauspieler und Synchronsprecher, schrieb Drehbücher und führte eine Produktionsfirma. Seine Mutter ist Ingenieurin, sein Vater Kybernetik-Professor, doch das alles ändert nichts daran, dass Selenskyj für das Präsidentenamt nicht besser qualifiziert war als Donald Trump.
Nun schauen wir diesem Selenskyj zu, wie er in Kiew bleibt und von dort aus eine angegriffene Nation zusammenhält. „Vielleicht seht ihr mich heute zum letzten Mal“, sagte er europäischen Staatschefs Mitte vergangener Woche. Er bietet Russland Verhandlungen an, was klug ist, doch er kapituliert nicht, was gleichfalls klug ist, solange Spielräume verbleiben: Selenskyj bringt eine schnelle EU-Mitgliedschaft in die Diskussion ein, was seinem Volk einen Pfad zeigt und in der Ferne ein Licht. „Ich brauche Munition, ich brauche keine Mitfahrgelegenheit“, sagt Selenskyj, als die amerikanische Regierung ihn „dringend“, so das Pentagon, zur Ausreise bewegen will.
„Mach weiter so, Kanzler Scholz“, twittert er (und auf Englisch ist’s noch witziger: „Keep it up, Chancellor Scholz“), als die Bundesregierung das selbstaufgestellte Tabu abräumt und Waffenlieferungen zusagt, was gleichfalls viel mit Unterschieden zu tun hat, zwischen Selenskyij Handeln und den deutschen bis dahin so hohlen Worten. Es ist ein großer Film, die Rolle seines Lebens. Zugleich werden solche Begriffe Selenskyj kein bisschen gerecht, denn der Mann muss damit rechnen, morgen getötet zu werden; dass in Kiew natürlich auch die Ehefrau Olena, die Tochter Oleksandra, 17, und der Sohn Kyrylo, 9, in Lebensgefahr sind, weiß er.
Er traut sich trotzdem, deshalb, gerade jetzt.