Architektur für die Zukunft

2020 sollte die Weltausstellung in Dubai, dem Wirtschaftszentrum der Vereinigten Arabischen Emirate am Persischen Golf, eröffnet werden. Dann kam die Pandemie. Nun findet die „Expo 2020“ eben später statt, unter der alten Jahreszahl.

Zu ihr kann man auf nachhaltige Weise gelangen, indem man die vorzügliche Hochbahn der „Metro Dubai“ benutzt. Man kann aber auch diejenige Variante wählen, um die herum Dubai erbaut ist: das Auto. Sechs- bis achtspurig in jede Richtung zieht sich die Schnellstraße bis zum ein paar Dutzend Kilometer von der Stadt entfernten, 438 Hektar großen Expo-Gelände hin, um in endlos sich dehnende Parkplätze zu münden. Fahnenmasten weisen den weiten Weg zum Eingang. Ein kurzer Blick auf den digitalen Impfnachweis, ein Scan des Tickets, und die Weltausstellung steht zur Besichtigung offen.

Was kann man der Welt zeigen, was die Welt noch nicht gesehen hat? Genau da liegt das Dilemma. Im 19. und auch noch im 20. Jahrhundert besuchte man Weltausstellungen, um nie Gesehenes zu sehen, um am Erfindungsgeist und den Produktivkräften anderer Nationen teilzuhaben. Was man bestenfalls vom Hörensagen wusste, konnte man mit eigenen Augen sehen, bis hin zum milliardenfach vergrößerten Atommodell als Wahrzeichen von Brüssel 1958, um dem Schrecken der totalen Vernichtung die Hoffnung auf friedliche Nutzung entgegenzusetzen.

Die Hoffnung des 21. Jahrhunderts heißt Nachhaltigkeit. Der Begriff ist schwer zu fassen. Die häufigste Veranschaulichung, auch bei dieser Expo, heißt „Natur“. Natur ist per se nachhaltig. In den Länderpavillons der Expo finden sich zahlreiche Videoprojektionen, die den Kreislauf der Natur feiern. Etwas Künstlicheres als eine Weltausstellung, die nur für einen begrenzte Zeitraum auf- und danach wieder abgebaut wird, lässt sich indessen kaum denken. Gleichwohl wird an allen Ecken und Enden die Natur zitiert. 192 Staaten konkurrieren mit ihren Länderpavillons um die Aufmerksamkeit eines Millionenpublikums, Themenpavillons gibt es obenauf.

Saudi-Arabien, der mächtige Nachbar der Emirate, begrüßt die Besucher mit einem fein inszenierten Wasservorhang. Um ihn muss herumlaufen, wer in den spektakulären Großbau gelangen will, der wie eine schräg aus den Angeln gehobene Schachtel aus dem Boden ragt. Im Inneren führt eine endlos lange Rolltreppe in die Höhe, vorbei an den Visualisierungen jahrtausendealter Kulturzeugnisse. Im Obergeschoss macht eine Videoinstallation mit der offenbar überreichen Flora des Landes vertraut, vom Kaffeestrauch bis zur Rosenblüte.

Energie, Biodiversität und die Stadt der Zukunft

Im Inneren spielt die Architektur des Pavillons, die außen doch so eindrucksvoll auftritt, keine Rolle mehr. Dieses Muster lässt sich an weiteren Pavillons verfolgen: Die Architektur des temporären Bauwerks erheischt Aufmerksamkeit, steht indessen in keiner zwingenden Verbindung zum Innenleben, das lediglich als Art Kinosaal für Videoprojektionen und LED-Bildschirme benötigt wird.

Davon unterscheidet sich der von der Kölner Agentur Facts and Fiction konzipierte deutsche Pavillon auf durchaus bemerkenswerte Weise. Im Äußeren lässt die Architektur des Berliner Büros Laboratory for Visionary Architecture das Modell „Kiste“, das sich für Messebauten gemeinhin anbietet, weit hinter sich. Unter einem schwebenden, selbsttragenden Dach sind verschiedene „Boxen“ ineinandergeschoben. Im 4500 Quadratmeter Grundfläche umfassenden Inneren zeigt sich eine spannungsreiche Raumvielfalt, wobei die drei unter dem Gesamttitel „Campus Germany“ aufbereiteten Themen Energie, Biodiversität und Stadt der Zukunft in besagte Boxen eingeschlossen sind, miteinander verbunden über Rolltreppen und Wege in unterschiedlicher Höhe.

Kunstwelten in einer künstlichen Wüstenstadt: d er Pavillon von China auf der Expo 2020. Foto: dpa-Bildfunk

Zwanglos ergibt sich als Leerraum eine von oben einsehbare Bühne, seitlich ragt eine verglaste Cafeteria herein. Wo nötig, ist eine transluzente Gebäudehülle aus wiederverwendbarer Kunststoffmembran angebracht, während das konstruktive Gerüst des Bauwerks aus verschraubten, demontierbaren Metallstangen besteht. Das ist – für 58 Millionen Euro Gesamtkosten aus dem Etat des Bundeswirtschaftsministeriums – architektonisch gelungen, ökologisch vorbildlich und zudem weitgehend ohne Schulmeisterei. Am Ende der Expo wird das Grundstück besenrein zurückgegeben.

Das reine Prinzip der Demontierbarkeit stellt der Pavillon des Golf-Königreichs Bahrein vor. Bahrein tut sich seit gut einem Jahrzehnt mit anspruchsvollen Beiträgen etwa zur Architekturbiennale von Venedig hervor. Für die Expo wurde der Schweizer Architekt Christian Kerez gewählt, der eine Konstruktion aus 126 unterschiedlich schräg gestellten, einander ausbalancierenden Aluminiumstützen ersonnen hat, die einen Kubus aus metallener Außenhaut aufspannen. Das ist Schweizer Architektur-Minimalismus in Vollendung; vielleicht kein Publikumsmagnet, aber dafür ein Ort zur Erfahrung von „Raum“.

Die Schweiz lockt mit Kreuz und Schokolade

Das will auch die Schweiz und lockt mit einer raffinierten Fassade, in der sich das in den Boden vor dem Bauwerk eingelassene Schweizerkreuz samt der hinzutretenden Besucher spiegelt. Im Inneren ist ein Aufstieg auf vielfach geknicktem Weg durch künstlichen Nebel zu bewältigen, bis man metaphorisch auf dem Alpengipfel anlangt. Die Idee mit dem Nebel gab’s in ähnlicher Weise schon bei der Swiss-Expo, der Schweizerischen Landesausstellung von 2002, zu bestaunen; für Golf-Touristen freilich nichts, das sich mit eigener Erfahrung verbinden ließe. Am Ausgang sorgt noch ein Chocolatier-Geschäft für ein schweizerisches Aha.

Ohne Natur-Mataphorik kommt der russische Pavillon aus, den der Berliner Architekt Sergej Tchoban in eine auf mehreren Kreisbauten ruhende Halbkugel aus horizontal geschichteten, bunten Metallrohren eingespannt hat. Die anspruchsvolle Lightshow im Inneren beschäftigt sich mit dem menschlichen Hirn als Vorbild neuronaler Vernetzung, und so lässt sich die mit zahllosen Lichtpunkten besetzte Kuppel denn auch als Hirnschale deuten. Die farbenfrohe, abends wunderlich leuchtende Halbkugel hat unter all den Kuben und Schachteln der Expo einen hohen Wiedererkennungswert – bei über 200 um Aufmerksamkeit heischenden Pavillons kein geringer Vorzug.

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Neben der Natur wird gern das kulturelle Erbe bemüht. Da verweisen so unterschiedliche Länder wie Pakistan, Italien, Vietnam oder eben Saudi-Arabien auf ihre gegebenenfalls mehrtausendjährige Geschichte – eher nur Beschwörung denn Handlungsanleitung für die Probleme der Gegenwart. Die gastgebenden Emirate haben das größte Einzelgrundstück für sich reserviert und darauf einen ausgreifenden, an Vogelschwingen erinnernden Bau des Architekten Santiago Calatrava hingestellt, in dem die Vergangenheit als Vorlauf für den Raketenstart des vor 50 Jahren gegründeten Staates abgespult wird. Marokko hingegen hat eine architektonische Entsprechung in Gestalt eines siebengeschossigen Holzbauwerks gesucht, das die traditionellen, sowohl der Verschattung als auch der Belüftung dienenden Fensterelemente in eine maßvoll zeitgenössische Formensprache überführt.

Das Gelände wird am Schluss besenrein übergeben

Völlig unbekümmert sind wieder einmal die Niederlande. Ihr vom Büro V8 Architects ersonnener Pavillon macht dem seit Jahren geläufigen Begriff „Superdutch“ für ebenso schräge wie innovative Ideen alle Ehre. Metallene Spundwände sind in den Boden gerammt, auf Kellerniveau beginnt ein Rundgang, zu dem Regenschirme verteilt werden. Denn als Höhepunkt einer Animationsshow stürzt Wasser aus einer Öffnung in unbestimmbarer Höhe des Bauwerks – Wasser, das durch ingeniöse Technik vermittels Energie aus Sonnenkollektoren aus der umgebenden Luft gewonnen wird und zu vertikalem Pflanzenbau verwendet wird. Das ist eine idée fixe bei den von Flächenmangel geplagten Niederländern, die schon vor zwei Jahrzehnten bei der Expo Hannover mit einem in Etagen gestapelten Bauernhof für helle Aufregung sorgten.

(Dubai (Vereinigte Arabische Emirate), bis 31. März, Gelände täglich 9-24 Uhr, Pavillons meist bis 22 Uhr. Weitere Informationen unter www.expo2020dubai.com/de – Die Recherche zu diesem Artikel wurde unterstützt von Dubai Tourism.)

Die Dämmerung, in der Golfregion von geringer Dauer, gibt den Auftakt zu einer weiteren Dimension der Pavillon-Architektur: der Inszenierung mit Licht und Leuchten. Die Expo ist bis in die Nacht hinein geöffnet, und wer in Dubai lebt, kommt erst am kühleren Abend hierher. Das Spektakel aus farbigen, bewegten, oft rhythmisierten Lichtinstallationen ist überaus eindrucksvoll, umso stärker, je mehr die Umrisse der Pavillonbauten in der Dunkelheit versinken.

Da kommt die Virtual Reality der Video-Programmierung im Inneren, wenn man so will, mit den flirrenden Lichtern des nächtlichen Äußeren zur Deckung. Des Nachts findet die Illusionsmaschine Weltausstellung zu sich selbst. Und kann es etwas geben, das dem bei dieser Expo so oft bemühten, auf Dauer zielenden Begriff von Nachhaltigkeit weniger entspräche als das ungreifbare Flimmern und Flirren bunter Lichter?

Ob die Expo 2020 einen Beitrag leistet zu den drängenden Fragen der Gegenwart, steht sehr dahin. Einen Beitrag zur flüchtigen Architektur von Feier und Festlichkeit leistet sie allemal. In Dubai, dieser dem schieren Herrscherwillen entsprungenen Stadt der Künstlichkeit, ist sie an ihrem richtigen Platz.