„Nussknacker“ nicht mehr zeitgemäß
Die russischen Choreografen Vasily Medvedev und Yuri Burlaka, ausgewiesene Kenner der Tradition, haben für das Staatsballett Berlin 2013 eine Fassung von „Der Nussknacker“ entwickelt, die auf der Überlieferung des Originals von 1892 beruht.
Die opulente Produktion, die 1,5 Millionen Euro gekostet hat, wurde zum Publikumsrenner. In dieser Saison aber wird es keine „Nussknacker“-Aufführungen geben.
Auch wenn viele große und kleine Ballettfans nun enttäuscht sind: Die Entscheidung der kommissarischen Staatsballett-Intendantin Christiane Theobald, das Stück in diesem Jahr nicht auf den Spielplan zu setzen, ist konsequent.
Vor einem Jahr, im November 2020, wurde das Staatsballett Berlin von einem Rassismus-Fall erschüttert. Mit der französischen Tänzerin Chloe Lopes Gomes hat sich das Staatsballett mittlerweile geeinigt. Sie hat eine Entschädigung erhalten.
Das Staatsballett hatte damals angekündigt, dass es sein Repertoire überprüfen wolle, um „überholte und diskriminierende Aufführungsweisen aufzudecken und Traditionen in neuem Licht und mit anderem Bewusstsein zu sehen und neu zu bewerten“. Das geschieht derzeit auch in der Diskursreihe „Ballet for Future? Wir müssen reden!“
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Dass der „Nussknacker“ als problematisch gilt, ist kein Zufall. Im Divertissement im zweiten Akt des Balletts wird zum Beispiel ein arabischer (mit Haremsdamen) und ein chinesischer Tanz vorgeführt, es gibt auch noch andere ethnische Stereotypen in Marius Petipas Original-Choreografie. In Berlin folgte auf die historisierende Inszenierung dann eine von Nacho Duato, im Jahr 2016 – die russische erfreut sich jedoch größerer Beliebtheit.
Der Exotismus spielte eine große Rolle in den Ballett-Klassikern des 19. Jahrhunderts. Auf diese Imaginationen des Fremden, die von kolonialen Sichtweisen geprägt sind, blickt man heute mit anderen Augen.
In der Originalversion des „Nussknacker“ gab es im zweiten Akt auch Blackfacing bei zwei Kindern im zweiten Akt. Das führte schon 2015 zu Beschwerden. Bei der Wiederaufnahme unter der Ballettdirektion von Johannes Öhman traten die Kinder dann ohne Blackfacing auf. Die russischen Choreografen, heißt es, hätten der Änderung schweren Herzens zugestimmt.
International werden Klassiker schon länger postkolonial durchleuchtet
Nun stellt eine solche Änderung einen Eingriff ins Urheberrecht dar, auch das muss bei den Diskussionen darüber, was heute noch gezeigt werden soll, beachtet werden. Manche werden nun schon Zensur rufen.
Doch Christiane Theobald hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es bei einem rekonstruierten Ballett wie „Nussknacker“ wichtig ist zu untersuchen, in welchem kulturhistorischen Zusammenhang es entstanden ist und welche Elemente heute als problematisch gelten könnten. Auch das Pariser Ballett will kein Black- , White- oder Yellowfacing mehr zeigen. In amerikanischen, kanadischen und britischen Ballettcompagnien werden die Klassiker schon seit Längerem postkolonial durchleuchtet.
Für die Wiederaufnahme des “Don Quixote” wurde die Vertretung von Sinti und Roma eingebunden
Wie die Zeitung „Daily Mail“ berichtet, hat nun auch das Scottish Ballet angekündigt, dass es die „Karikatur-Elemente“ aus dem arabischen und chinesischen Tanz im „Nussknacker“ entfernen werde. Hier wird eine überarbeitete Fassung gezeigt. In Berlin werden die Ballettfans nun ganz auf den „Nussknacker“ verzichten müssen.
Als Ersatz zeigt das Staatsballett im Dezember eine Wiederaufnahme des „Don Quixote“. Auch dies ist kein unproblematisches Werk, kommen hier doch tanzende „Gitanos“ vor. In Berlin wird allerdings die Fassung des spanischen Choreografen Víctor Ullate zu sehen sein, die von der Tradition des Flamenco inspiriert ist.
Christiane Theobald hat für diese Wiederaufnahme bereits die Vertretung der Sinti und Roma kontaktiert und lässt ein neues Programmheft erarbeiten. Das Staatsballett Berlin erprobt einen neuen Umgang mit der Ballett-Tradition. Das ist keine leichte Übung. Dafür gebührt der Intendantin und den Tänzern und Tänzerinnen Respekt.