Derwisch mit Vagina-Kopfschmuck

Mit gekrümmtem Rücken, gestützt auf einen Rollator, kriecht Peaches zu Beginn ihres Konzerts im Club Huxley’s Neue Welt über die Bühne. Auf dem Kopf trägt sie einen Hut in Vagina-Form. Mit zittrigen Händen setzt sie sich die Brille auf die Nase. Ja, es ist eine Weile her, dass die Sängerin ihr Debütalbum „The Teaches of Peaches“ aufgenommen hat, über 20 Jahre.

Und ja, sie ist nun Mitte 50. Habt ihr nicht alle erwartet, dass ich wie eine Oma auftrete?, scheint sie mit ihrem Intro das Publikum zu fragen.

Doch schon im nächsten Moment wirft sie den Vagina-Kopfschmuck in die Ecke, entledigt sich ihres Mantels, zieht die lange Hose aus, steht oben ohne da und ist ganz die Peaches, die seit mehr als zwei Dekaden als queere Ikone und sexpositiver Derwisch weltweit bekannt ist. Überträgt man ihre Show auf das Gebiet, von dem sie zum großen Teil handelt, bietet sie fortan wirklich alles andere als altersmilden Kuschelsex, sondern Hardcore ohne irgendwelche Tabus.

Ihr letztes Album liegt schon eine Weile zurück, man hat längere Zeit nicht mehr viel von ihr gehört. Auch in Berlin tritt die hier lebende Kanadierin nun nicht auf, um eine neue Platte vorzustellen, sondern eine alte, „The Teaches Of Peaches“.

Song für Song arbeitet sie sich durch, „Set it off“, „Lovertits“, die Hits eines Albums, das längst ein Klassiker des inzwischen halb vergessenen Electro-Clash-Genres ist.

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Es ist kein Zufall, dass Peaches einen Tag vor dem CSD auftritt, zeitgleich mit dem Dyke March, der gerade ein paar Meter entfernt vom „Huxley’s“ durch die Straßen zieht. Die Queers sind ihr liebstes Publikum, sie bilden sichtbar die Mehrheit in ihrem ausverkauften Konzert.

Alle haben sich rausgeputzt, als würden sie ihre CSD-Outfits Probe tragen, etwas Glitzer im Gesicht gehört mindestens dazu. Der Star des Abends zwängt sich gefühlt mit jedem neuen Song in ein anderes Outfit. Wobei Peaches die meiste Zeit ohnehin halbnackt auftritt, was freilich ein einigermaßen exzentrischer Bühnen-Look ist.

Das Publikum trägt Peaches auf Händen

Peaches kommt alleine auf die Bühne – mit ihrer Drummachine, mit der sie in ihren Berliner Anfangstagen berühmt wurde. Dann begleitet sie eine Gitarristin, die einen Gothic-Style kultiviert, als wäre es das Jahr 1981, schließlich kommt eine Drummerin hinzu. Das Rockinstrumentarium arbeitet fortan gegen den Elektroniksound an. Es geht hin und her zwischen Clubmusik, Hip Hop und einem Mix aus Heavy-Metal und Punk.

Es dauert nicht lange, da wird Peaches bereits wortwörtlich von ihrem Publikum auf Händen getragen. Stagediven kann jeder, sie bewegt sich auf einem Meer aus Händen voran und singt weiter. Ihre Show ist immens körperlich.

Die Tänzer:innen hinter Peaches entkleiden sich weiter, irgendwann verknäulen sie sich ineinander. Aus Strip- wird Sexshow, und bald hat man das Gefühl, einer Orgie beizuwohnen. Peaches trägt ein Top, auf dem steht „Thank God for abortion“. Ein Wink in Richtung USA, wo Reaktionäre, die per Gesetz Frauenrechte beschneiden wollen, beim Besuch einer Peaches- Show garantiert einen Herzinfarkt bekommen würden.

Beim „Nasty“-Contest brüllen alle heraus, wie versaut sie sind

Als das „Teaches of Peaches“-Album durchgeackert ist, geht es noch weiter. Das Publikum weiß: Ein Song fehlt noch. Peaches performt nun weitere alte und ein paar neue Songs, die sie während der schlimmsten Corona-Monate geschrieben hat.

Ein wenig wiederholt sich die Show, nur wird dicker aufgetragen. Es geht um noch mehr dicks, clits und tits in den Texten, und weitere Vaginen werden spazieren getragen. Beim „Nasty“-Contest sollen die Berliner:innen herausbrüllen, wie versaut sie sind, um Berlin zur Welthauptstadt der Versauten zu erklären.

Schließlich wird ein Riesenpenis in Zeppelin-Dimension aufgeblasen und in Richtung Publikum gehalten, während Peaches darin spazieren geht – es ist wirklich eine geile Show.

Und dann kommt die Nummer, auf die alle gewartet haben: „Fuck the pain away“, die gerade von den Radio-Eins-Hörer:innen zum besten Song über Sex aller Zeiten gewählt wurde. Noch vor „Je t’aime…moi non plus“. Um im Bild zu bleiben: Das ist dann tatsächlich der Höhepunkt.