Aus der Tiefe rufe ich

Ein mutiges, originelles Konzert in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche: Unter der Leitung von Constantin Alex erinnern der Philharmonische Chor und das Symphonische Orchester der Humboldt Universität mit selten zu hörenden Psalmvertonungen und Trauermusiken aus drei Jahrhunderten an die Gegenwart der Vergänglichkeit – mitten in diesem krisendurchsetzten Sommer.

Die thematische Klammer bilden zwei Werke aus der Zeit des Ersten Weltkriegs, Max Regers 1915 komponierte Kantate „Der Einsiedler“, nach einem Text von Joseph von Eichendorff, und Lili Boulangers Vertonung des 130. Psalms, „Du fond de l’abîme“ von 1917.

Regers Werk lässt in all seiner spätromantischen Chromatik an die Sonnenuntergänge Caspar David Friedrichs denken, an die Ruhe nach einem erschöpfendem Tagewerk. Der Bariton Johannes Schwarz singt glaubhaft und anrührend von Einsamkeit und Weltschmerz, wobei sein vorbildliches Legato und der große Farbenreichtum seiner Stimme jedes Wort lebendig werden lassen.

Der emotionale Höhepunkt des Abends folgt nach der Pause. Nachdem zunächst die lateinische Fassung des Psalms „De profundis clamavi“ in der Renaissance-Version von Josquin Desprez erklungen ist, folgt auf Gustav Mahlers sinfonischer „Totenfeier“ aus dessen 2. Symphonie Lili Boulangers französische Variante des 130. Psalms: In „Du fond de l’abîme“ ist von romantisch verklärender Entrücktheit nichts zu spüren. Allen Beteiligten verlangt die Komponistin klangliche Extreme ab, was in seiner Intensität das Publikum aufrüttelt.

„Aus der Tiefe rufe ich, Herr zu dir“: Da wird geklagt, gefordert und angeklagt, als richte die todkranke, erst 24-jährige Komponistin ihren persönlichen Schmerz gen Himmel. In dem zwischen expressiver Monumentalität und intimer Zartheit angesiedelten Werk – besonders in den „Iahvé Adona?“-Rufen des Chors – klingt immer der Zweifel durch, ob das Rufen überhaupt erhört wird.

Alle Beteiligten meistern die anspruchsvollen Werke mit großem Ernst und Musikalität. Die Diktion der Sänger*innen ist ebenso hervorragend wie es die klangliche Balance und das Zusammenspiel zwischen Chor, Orchester und Orgel.

Eine Leistung, bedenkt man noch dazu die schwül-heißen Temperaturen in der ausverkauften Kirche, und das riesige Ensemble mit rund 200 Aufführenden, die von Constantin Alex souverän und energetisch geführt werden. Das Publikum würdigt den Abend mit Begeisterung.