“Katharina Wagner erlebe ich nur unterstützend”
Seit zwei Jahren wartet die Opernwelt auf den neuen „Ring des Nibelungen“ in Bayreuth – jetzt bekommt sie allen Erschütterungen wegen Sexismus-Vorwürfen und Corona-Chaos auf dem Grünen Hügel zum Trotz sogar noch einen „Tristan“ obendrauf. Roland Schwab ist der Regisseur der Neuproduktion, mit der die Festspiele an diesem Montag starten. Das Inszenierungskonzept hat er in nur vier Wochen entworfen. Schwab ist als freiberuflicher Regisseur an etlichen Bühnen im In- und Ausland tätig. Außerdem lehrt er an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt und der Bayerischen Theaterakademie. Im Interview spricht der 52-Jährige über die Besonderheiten von Bayreuth, speziell in diesem Jahr.
Herr Schwab, Sie haben Ihre „Tristan“-Konzept als eine Art Weltflucht, als Utopie beschrieben. Ist es dabei geblieben?
Unbedingt. Für mich ist „Tristan und Isolde“ das berühmteste Weltflucht-Opus der ganzen Musikgeschichte. Und wenn eine Zeit das Bedürfnis kennt, der Welt zu entfliehen, dann ist das unsere. Diese Reise will doch jeder machen: Sich von der Welt lösen, Grenzen überwinden, sich verlieren, sich verlieren im Anderen. Es gibt kein Ich und kein Du mehr. Sich verlieren im Universum, in einer universalen Liebe.
Diese Sehnsucht möchte ich zulassen. Gerade in unserem aktuellen Zeitkontext ist mir das ganz, ganz wichtig. Die analytischen „Tristan“-Inszenierungen gibt es zuhauf. Das meine ich überhaupt nicht als Wertung. Es ist total richtig, dass es sie gibt. Aber hier versuche ich, Poesie mit Poesie beizukommen. Ich will einfach der Ekstase des Stückes nachgehen, diesen Rauschzuständen, und einen Rausch der Schönheit beim Zuschauer entfachen.
Das hätte ich vielleicht vor zehn Jahren noch anders inszeniert, da wäre ich mehr auf der analytischen, desillusionierten Seite gewesen. Aber davon hat die Realität schon genug.
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Kann ein solcher ästhetischer Rausch auch über den Moment hinaus etwas bewegen?
Schönheit, die passiert, nimmt man doch sein Leben lang mit. Diese Verzauberung, die bleibt als Wert. Das ist wie bei Reiseeindrücken, wo man wirklich eine Schönheit jenseits von Klischee erlebt hat. In mageren Zeiten zehrt man davon. Und so sehe ich jetzt unsere Mission. Denn in den „Tristan“ geht der Zuschauer nicht, um sich zu finden, sondern um sich zu verlieren.“
Wie haben Sie die Arbeit auf dem Grünen Hügel erlebt?
Ich kann hier frei arbeiten und Katharina Wagner erlebe ich nur unterstützend. Ich finde das sehr clever von ihr gedacht, diesen „Tristan“ noch beizubringen, zu antizipieren, dass es ja auch eine nervöse Situation wird und dass die Festspiele diesen Joker brauchen.
Üppig bedacht mit Proben sind wir in dieser Situation natürlich nicht gewesen. Wir hatten vielleicht ein Drittel dessen, was sonst an Endproben üblich ist. Da hilft es enorm, dass ich wenige Debütanten habe, sondern dass alle die Partien schon kennen. Das ist wesentlich für unseren „Tristan“. Catherine Forster kennt die Isolde gut und wenn jemand den Tristan wirklich in- und auswendig kennt, dann ist es Stephen Gould.
Ihr „Tristan“ ist vor allem für den Fall gedacht, dass eine der großen Chor-Opern coronabedingt nicht aufgeführt werden kann. War Ihre Vorgabe: So unkompliziert und corona-konform wie möglich?
So in etwa, ja. Ich habe also nicht – wie die Wiener Staatsoper – mehr als 100 nackte Statisten.
Nachdem Ihnen schon der Dirigent abhandengekommen ist, weil Cornelius Meister nun den „Ring“ dirigiert – wieviel Angst haben Sie um Ihren Tristan Stephen Gould? Er singt auch noch den „Tannhäuser“ und den Siegfried in der „Götterdämmerung“.
Ich glaube, jemand, der dieses Pensum schafft in seinem Alter, der kann es auch mit so einem Virus aufnehmen.“
Was macht diesen Ort für Sie so besonders?
Wagner ist für mich derjenige, der Grenzen öffnet. Und es tut als Jugendlicher, als ich zum ersten Mal mit seiner Musik wirklich in Berührung kam, gut, keine Grenzen mehr zu sehen. Diese Musik hebt ab, reißt mit. Wagner ist neben Johann Sebastian Bach der universale Künstler, den sich auch die meisten Völker angeeignet haben.
Und in Bayreuth kulminiert all das, weil dieses Festspielhaus für ihn gebaut wurde. Die Architektur und die Lage des Festspielhauses ist einzigartig. Wäre das Festspielhaus in München errichtet worden, wäre es jetzt der Gasteig, ein Schauplatz unter vielen.
Es war total richtig gedacht, diesen Pilgerort zu ersinnen. Man muss sich nicht mit Menschen rumschlagen, die sagen: Also, eigentlich gefällt Verdi mir besser. Hier bei den Festspielen stehen ja überall Klaviere rum, aber man traut sich nicht, sich an eins dieser Klaviere zu setzen und etwas anderes als Wagner zu spielen. Da haben alle eine Hemmschwelle. Vielleicht erklingen mal ein paar andere Takte, aber die sind schnell vorbei, weil man ein schlechtes Gewissen hat. Das ist ein Sakrileg. (dpa)