Über das Gelingen (2)

Unser Kolumnist Klaus Brinkbäumer ist Programmdirektor des MDR in Leipzig. An dieser Stelle schreibt er jede Woche über Politik und Sprache, zurzeit in einer kleinen Serie über die Kunst des Gelingens.Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter unter @Brinkbaeumer.

Opportunismus ist taktisch. Was wir in Zeiten überlappender Krisen bräuchten, wären Ziele und Strategien; ebendiese hektischen, aggressiven Zeiten erzeugen aber leider das Gegenteil – nicht mehr, sondern weniger strategisches Denken, nicht weniger, sondern mehr taktisches Kalkül: Opportunismus, Fähnlein im Sturm.

Aus vertikalen Gesellschaften seien horizontale geworden, so sagt es der Fußball-Lehrer Arsène Wenger, in denen alle allezeit zu allem eine Meinung hinausbrüllten. Die wichtigste Fähigkeit, die Anführer und Anführerinnen heute haben müssten, sei Robustheit, Widerstandsfähigkeit – um die Freiheit, strategisch zu denken, zu erhalten.

Nicht jede Lehre, die wir von Helden des Sports oder auch Milliardären hören und lesen, hilft im wirklichen Leben weiter.

„Ich laufe dahin, wo der Puck sein wird, nicht dahin, wo er war“, sagte einstmals Wayne Gretzky und hätte genauso gut sagen können: „ihr: Tölpel, ich: Genie“. Aber manches hilft eben doch.

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Ben Ainslie, einer der drei, vier besten Segler der Welt, sagte mir einmal beim Gespräch in Cornwall dass wir unser Ziel und unsere Strategie zunächst mit den schlauesten Ratgebern, mit denen wir uns natürlich zuvor umgeben hätten, angstfrei und streitbar diskutieren, dann bindend verabreden und aufschreiben, schließlich beständig wiederholen sollten, damit alle im Team beides verinnerlichten. Da sprachliche Klarheit immer und überall wichtig sei, sei sie es besonders in der Unterscheidung zwischen Strategie und Taktik: „Strategie ist mein langfristiger Plan. Taktik ist die Reaktion auf den Gegner, auf Windböen, Taktik ist die gedankenschnelle Handlung innerhalb des strategischen Rahmens“, so Ainslie.

Wenn wir uns durch Bücher über das Gelingen lesen, bleiben einige Weisheiten hängen, die dort häufig auftauchen:

– Die größten Chefinnen und Chefs waren nicht zwingend Visionäre. Sie analysierten, was anderswo nicht funktionierte und was anderswo bestens funktionierte. Auf Ersteres verzichteten sie, auf Letzterem bauten sie auf.

– Irgendetwas passiert immer, das den Reiz erhöht, unsere Strategie um neue Paragrafen aufzublähen. Der Harvard-Ökonom Ronald Heifetz rät ab: Wir müssen unsere Klarheit über das Ziel und den Weg zum Ziel behalten. Und noch etwas: Zu viel Kommunikation, zu viele Erklärungen habe er noch nie erlebt – für mindestens eine Person in der Firma sei jeder noch so oft erklärte Plan immer noch neu.

– Die besten Chefinnen und Chefs haben keine Angst davor, die größten Sorgen des eigenen Teams frontal anzusprechen und anzugehen.

Der Merkel-Mythos, dass sie alles vom Ende her denke, war glorifizierender Stuss

Wie vergangene Woche bereits gesagt: alles nicht so einfach, hat ja auch niemand behauptet. Aber wer Taktik über Strategie stellt, macht Fehler wie John McCain, der 2008 die laute, doch unterbegabte Sarah Palin zu seiner Kandidatin für die US-Vizepräsidentschaft ernannte, weil das Volk nach Radau verlangte. McCain opferte dadurch sein Ziel (die Präsidentschaft) und seine Strategie (ruhige Kompetenz), und Barack Obama gewann leicht.

Dies ist auch der Grund, warum wir Angela Merkel heute anders bewerten sollten als während ihrer gefeierten letzten Wochen im Kanzleramt. Dass sie alles vom Ende her denke, war der Merkel-Mythos, aber es war glorifizierender Stuss.

Waren die Abkehr von der Atomenergie und die vermeintliche Energiewende mehr als bloßer Zeitgeist nach Fukushima? Und die unterwürfige Treue zu Putin, die politisch zugelassene und gesteigerte Abhängigkeit vom russischen Gas? Welches Ziel und welchen Plan gab es, trotz allen Wissens, jenseits von Bequemlichkeit und Opportunismus?