RBB Kultur reagiert auf anhaltende Kritik
Der Klügere zu sein, macht nur selten Spaß. Ständig soll man nachgeben. Zum Beispiel, wenn es um die Neuerungen beim Musikprogramm des Senders RBB Kultur geht. Der war mal ein reiner Klassikkanal, seit Februar jedoch wurde der Anteil von Bach, Beethoven und Co. zu den besten Sendezeiten des Tages halbiert. Von sechs bis zehn Uhr morgens und von 16 bis 20 Uhr klingen jetzt auch andere Töne aus dem Lautsprecher, Pop und Jazz, Chansons, Filmmusik, Crossover und die so genannten „New Classics“.
Das hat viele Hörerinnen und Hörer wütend gemacht. Weil sie ihren Spartensender so liebten, wie er war – und weil sie sich ziemlich sicher sind, dass niemand auf die Idee kommen würde, dem Stammpublikum anderer Spartensender eine solche stilistische Spreizung zuzumuten: Das Schlagerradio müsste auch Techno und Hip-Hop spielen, der Nostalgiesender außer den Hits von früher auch Garagenrock von heute und das ach so erwachsene Radio Eins Folklore? Na da wäre was los im Äther!
Diejenigen aber, die Klassik mögen, sollen sich bitteschön nicht so anstellen und als Klügere nachgeben? So sieht es Verena Keysers, die Wellenchefin von RBB Kultur, und wird nicht müde zu betonen, dass sie mit dem neuen Sound nur ihren Programmauftrag erfülle. Der nämlich nicht lautet, einen Klassiksender zu betrieben, sondern ein Kulturradio. Das auch für jene da sein soll, die sich für Kino, Theater, Ausstellungen und Literatur interessieren – und dabei nicht klassikaffin sind. Weshalb man ihnen alternative Klangangebote machen müsse.
[ Der erste Hörer:innen-Dialog findet am 30. September um 19 Uhr sowohl live im RBB als auch auf Zoom statt. Anmeldung unter dialog@rbbkultur.de.]
Die jüngste Media-Analyse für den Berliner Raum hat keine Klarheit darüber ergeben, wie viele Menschen RBB Kultur jetzt nicht mehr hören und wie viele neue Kund:innen stattdessen gewonnen wurden. Wellenchefin Verena Keysers will darum regelmäßig einen Hörer:innen- Dialog veranstalten, zusammen mit dem Landesmusikrat. Los geht es am 30. September.
Einen historischen Auswahlprozess durchlaufen
Was macht klassische Musik aus? Da sind die unsterblichen Melodien, von denen man auch nach Jahrhunderten nie genug bekommen kann, da ist aber auch jene anregende Vielfalt an harmonischen Wendungen und rhythmischer Raffinesse, die andere Genres nicht bieten. Jedenfalls nicht in ihren Mainstreamvarianten. Klassik hat eben den historischen Ausleseprozess bereits hinter sich, 99 Prozent der Produktion früherer Zeiten sind vergessen, nur die allerhöchste Qualität konnte überdauern.
Bei RBB Kultur wird die Musik nicht von Computerprogrammen ausgesucht, sondern von echten Fachleuten. Und darum sind viele der Titel aus den Bereichen Jazz, Singer-Songwriter-Pop, Chanson und Crossover, die jetzt in den Vormittags- und Nachmittagsstunden erklingen, auch durchaus mit der Komplexitäts-Erwartungshaltung von Klassikfans kompatibel.
Nur über die „New Classics“ sollten die Verantwortlichen nochmal nachdenken. Diese Easy-Listening-Stücke, die auf traditionellen Instrumenten hergestellt werden, sind nämlich gar nicht zum aufmerksamen Zuhören gedacht. Sie führen ein Eigenleben in den Playlists der Streamingdienste, als Klangtapete für junge Menschen, die meinen, ohne Hintergrundbeschallung weder Lernen noch Lesen zu können.
Wer andere Ansprüche an Musik hat, dem kommen beim „New Classics“-Gedudel Kurt Tucholskys Worte in den Sinn, vor genau 90 Jahren gemünzt auf den Kommerzschlager US-amerikanischer Provenienz: „Diese Musik hat kein Heimatland, nur einen Herstellungsort, sie ist nicht geboren, sie ist copyright. Der sie gemacht hat, glaubt kaum an sie, der sie vertreibt, schon gar nicht – der Hörer auch nicht recht … sie ist ein Gebrauchsgegenstand. Wie Kaugummi.“