„Wir sind bei Euch in der Nacht“: Erstmals besucht ein Papst die Kunst-Biennale in Venedig
Als an den Preview-Tagen vergangene Woche tausende Journalisten aus aller Welt zur Kunst-Biennale in Venedig reisten, war eine Vorbesichtigung der vom Heiligen Stuhl organisierten Ausstellung nur sehr wenigen von ihnen möglich. Die Vorbereitungen für den Papstbesuch liefen bereits. Und die Kirche hat sich für ihren Beitrag zur wichtigsten Kunstausstellung der Welt einen Ort ausgesucht, der nur mit Anmeldung und organisierter Führung zu besichtigen ist: das Frauengefängnis auf der Insel Giudecca.
80 Frauen sind dort inhaftiert. 20 von ihnen wurden als Kunst-Guides geschult und werden während der Biennale mehrmals in der Woche kleine Gruppen durch die Ausstellung leiten. „In meinen Augen“ lautet der Titel der Schau, die am Sonntag sehr hohen Besuch erhält.
Vatikan-Kunst im Frauengefängnis
Noch nie hat ein Papst die 1895 gegründete Biennale besucht. Franziskus macht den Anfang und reist an diesem Sonntag an die Lagune. Eine seiner Stationen ist die Ausstellung im Frauengefängnis. An der wichtigsten Kunstausstellung der Welt mit ihren nationalen Beiträgen ist der Vatikan regelmäßig mit einer Ausstellung beteiligt.
87 Nationen sind in diesem Jahr dabei. Länder wie Deutschland, Frankreich, Italien oder Australien haben ihre Pavillons auf einem parkähnlichen Gelände, den Giardini. Wer kein eigenes Gebäude hat, sucht sich, ein möglichst spektakuläres, draußen in der Stadt.
Mit seiner Backsteinfassade liegt die Frauenhaftanstalt eingebettet zwischen Wohnhäusern und direkt an einem Kanal. Von San Marco aus setzt man mit der Fähre über. Eine Woche vor dem Papstbesuch war es noch ruhig auf der Insel, man sah aber bereits Polizei, Wachpersonal und Sicherheitskräfte vor dem Gebäude, eifrig am Organisieren.
In Kooperation mit den Insassinnen
Draußen an der Fassade der Kapelle des Frauengefängnisses ist ein riesiges Wandbild angebracht, es zeigt zwei geschundene Fußsohlen in Schwarz-Weiß, ein Werk des italienischen Künstlers Maurizio Cattelan. Dass die römisch-katholische Kirche ausgerechnet ihn für ihre Ausstellung engagiert hat, war eine Überraschung.
Der international bekannte italienische Künstler gilt als Provokateur, der nicht nur die Kunstwelt, sondern auch die Kirche skeptisch beäugt. Eine Skulptur von ihm zeigt die Figur Papst Johannes Paul II unter einem Meteoriten begraben. Das Werk mit dem Titel „Die neunte Stunde“ war unter anderem 2001 bei der Venedig Biennale ausgestellt. Eine andere Skulptur zeigt einen betenden Hitler. In der Vatikan-Ausstellung präsentiert Cattelan einen zwölfminütigen Film, in dem inhaftierte Frauen spielen.
Die Werke seien im Dialog mit den Insassinnen entstanden, heißt es bei Vatikan News. Die französische Künstlerin Claire Tabouret zum Beispiel hat auf Basis von Familienfotos der Gefangenen neue Zeichnungen angefertigt. Insgesamt sind acht international bekannte Künstler und Künstlerinnen beteiligt. Mit dabei ist die bekannte libanesische Künstlerin Simone Fattal sowie das Duo Claire Fontaine, das den titelgebenden Schriftzug der diesjährigen Biennale „Fremde überall“ als Leuchtschrift gestaltet hat.
Für die Vatikan-Ausstellung haben Claire Fontaine unter anderem einen Schriftzug beigesteuert. „Siamo con voi nella notte“ („Wir sind bei Euch in der Nacht“) leuchtet es in Blau von der Fassade der Gefängnisanstalt. Weitere Werke gibt es in den Fluren, oder in der Kapelle des Gefängnisses. In der Cafeteria sind Arbeiten der amerikanischen Künstlerin Corita Kent ausgestellt, die wegen ihrer Vergangenheit als Ordensfrau verschiedentlich als „Pop-Art-Nonne“ bezeichnet wird. Auch Performances soll es geben.
Kardinal José Tolentino de Mendonça, beim Heiligen Stuhl für Kultur und Bildung zuständig, ist der Kommissar des Pavillons. Er hat Chiara Parisi, Direktorin des Centre Pompidou-Metz, und Bruno Racine, Direktor des Palazzo Grassi – Punta della Dogana, als Kuratoren beauftragt. „Das Schönste an diesem Pavillon ist, dass diese inhaftierten Frauen mit ihren Geschichten zu einem Gleichnis wurden, das alle Existenzen erzählt. Die Worte, die ihr Leiden ausdrücken, drücken auch unser Leide aus“, wird der Kardinal zitiert.
Venedig ist im Ausnahmezustand. Wie lokale Medien berichten, sollen mehrere Kanäle und Anlegestellen für die Dauer des Besuchs am Sonntag gesperrt werden. Der Papst wird zunächst die Kunstausstellung besuchen, dort Künstler und inhaftierte Frauen treffen. Danach ist eine Begegnung mit katholischen Jugendlichen geplant und als dritte Station hält der Papst vor 10.000 Menschen eine Messe auf dem Markusplatz.